Recht auf Stadt – Aachen

 

Was „Recht auf Stadt“ für uns bedeutet – von Recht auf Stadt Hamburg

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ieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Text „Nehmen wir uns das Recht auf Stadt- Positionen zur „Recht auf Stadt“-Bewegung in Hamburg Nehmen wir uns die Stadt!“.

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Was „Recht auf Stadt“ für uns bedeutet

Der Begriff „Recht auf Stadt“, der auf den marxistischen Theoretiker Henri Lefèbvre zurückgeht und international in verschiedenen Kontexten benutzt wird, bringt in Hamburg mittlerweile ein breites Spektrum an Initiativen, Strömungen und Akteuren aus den verschiedensten Konfliktfeldern zusammen. Was sie eint, ist die Idee und die Forderung, in allen Belangen des Lebens, Wohnens und Arbeitens in dieser Stadt mitzubestimmen und sich gegen eine neoliberale Stadtentwicklungspolitik zu wehren, die nur den Interessen des Kapitals dient. Es geht um nicht weniger als die Erneuerung der Stadt und damit letztlich um die Machtfrage, denn heute liegen die Entscheidungen über den städtischen Raum in der Hand von Stadtentwicklern, Geldgebern, Unternehmen und Politikerinnen. Mit der Parole und der Einforderung eines Rechts auf Stadt wurde ein gemeinsamer Nenner der verschiedenen Konfliktfelder gefunden und in einer offensiven Forderung ausgedrückt: Alle BewohnerInnen der Stadt haben ein Recht auf Stadt! Die „Right To The City Alliance“ aus New York schreibt: „Wir glauben, das Recht auf Stadt ist das Recht aller Menschen die Lebensumstände herzustellen, die ihren Bedürfnisse entsprechen.“ Das bedeutet Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und zur Partizipation an allen Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen. Das Konzept „Recht auf Stadt“ stellt sich der derzeit vorherrschenden neoliberalen Stadtentwicklungspolitik diametral entgegen und weist tendenziell über den Kapitalismus hinaus. Denn eine kapitalistisch organisierte Ökonomie und Gesellschaft, die Profitlogik und Privateigentum an erste Stelle setzt und damit systematisch soziale Ungleichheit und „überflüssige“ Menschen produziert, ist letztlich unvereinbar damit, dass alle BewohnerInnen der Stadt gleichberechtigt und gemeinsam über die Nutzung des städtischen Raums entscheiden. Das Recht auf Stadt ist deshalb auch nicht als bürgerliches Recht zu verstehen, sondern als oppositionelle Forderung und konstiuierendes Moment sozialer Gegenmacht von unten. Sie ist damit ein Bestandteil der weltweiten Auseinandersetzungen um globale soziale Rechte. Das Recht auf Stadt wird von Bewegungen auf der Straße kreiert, als Akt der Selbstermächtigung gegen ungerechte Verhältnisse. Es geht bei „Recht auf Stadt“ nicht um Appelle an PolitikerInnen oder Parlamente, sondern um die praktische Aneignung von Raum und Entscheidungsmacht über städtische Prozesse. In diesem Sinne beschreibt der Geograph David Harvey „Recht auf Stadt“ gleichzeitig als Arbeitsmotto und politisches Ideal. Als Recht der Unterdrückten auf Gegenwehr bietet es als Arbeitsmotto eine Dachidee für städtische Aneignungskämpfe. Diese Aushandlungen müssen oft gegenüber den bürgerlichen Gesetzen durchgesetzt werden, denn das geltende Recht schützt die Besitzenden und Mächtigen. Als politisches Ideal steht ein konsequentes Recht auf Stadt aller BewohnerInnen der Stadt für eine gerechtere Gesellschaft, in der alle Menschen die Macht haben über ihre Lebensumstände selbst zu bestimmen. Eine Stadt, die von den BewohnerInnen nach ihren Bedürfnissen gestaltet wird und nicht nach den Interessen des Kapitals

Recht auf Stadt – mehr als eine griffige Parole?

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Überlegungen zur neuen urbanen Bewegung und der Bedeutung von Henri Lefebvre für die Auseinandersetzung mit der neoliberalen Stadt. Aus: Transmitter 6/2011; Autor: nbo

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So einige von uns haben sich wohl über die Stille gewundert. Die Stille nach Genua 2001, als die globalisierungskritische Bewegung im „Krieg gegen Terror“ unter Generalverdacht gestellt und mundtot gemacht worden war. Oder die Stille nach der Bambule-Räumung hier in Hamburg, die 2002 für kurze Zeit viele gegen die Zumutungen der neoliberalen Stadt mobilisiert hatte. Kommt da noch was, habe ich mich damals gefragt? Es kam etwas: eine Parole, die seit zwei, drei Jahren in immer mehr Städten widerhallt und der Politik um die Ohren fliegt – der Ruf nach dem „Recht auf Stadt“.

Recht auf Stadt, das klingt schlüssig in einer Zeit, da der urbane Neoliberalismus die Daumenschrauben noch einmal weiter angezogen hat und mehr Ausschlüsse denn je produziert. Recht auf Stadt, das geht nach vorne, weg von der bloßen Rettung dessen, was vielleicht noch zu retten ist. Recht auf Stadt, das ist auch ein Versprechen auf eine andere, sozialere Stadt. Die Parole ist anschlussfähig: Da agieren plötzlich Gruppen gemeinsam, die noch vor einiger Zeit kaum jemand zusammen gesehen hätte – von „Schrebergärtnern bis zu Autonomen“, wie es immer wieder heißt.

So erfreulich die Bewegung ist, die von der Parole angestoßen worden ist, so unklar bleibt bisher noch, was sie konkret bedeutet. Ich halte das für nicht ungefährlich, da eine Beliebigkeit der Interpretation vielleicht noch eine Weile trägt, aber provoziert, dass die Parole vereinnahmt – oder einfach stumpf wird. Schon regt sich Kritik von links, dass „Recht auf Stadt“ im Grunde ein bürgerlicher Ansatz sei, der wichtige Konflikte zukleistere, ja nur der Protest von weißen innerstädtischen Mittelschichtsangehörigen sei.

Der Begriff geht auf den französischen Philosophen und Marxisten Henri Lefebvre (1901 – 1991) zurück. Er hat ihn zwar nicht zu einem systematischen Konzept ausgearbeitet, gibt aber im gleichnamigen Buch „Le droit à la ville“ (1967) einige Hinweise. „Das Recht auf die Stadt lässt sich nicht begreifen als ein einfaches Besuchsrecht oder ein Recht auf Rückkehr in traditionelle Städte“, schreibt Lefebvre. „Man kann es nur als Recht auf ein städtisches, transformiertes, erneuertes Leben formulieren.“ Er führt es dabei als Kontrapunkt zu einem romantisierenden „Pseudorecht“ auf Natur ein, die vom Nachkriegskapitalismus in eine Freizeitware verwandelt werde, mit der die Individuen des Fordismus ihre Leistungsfähigkeit wiederherstellen können.

An zwei Stellen, die wichtig für die Relevanz des Begriffs in den Städten von heute sind, wird Lefebvre konkreter. Zum einen schreibt er: „Das Recht auf die Stadt äußert sich als eine höhere Form von Rechten: Recht auf Freiheit, auf Individualisierung in der Vergesellschaftung, auf Wohnraum und Wohnen. Im Recht auf die Stadt sind eingeschlossen das Recht auf das Werk (auf eine teilhabende Aktivität) und das Recht auf Aneignung (wohlunterschieden vom Recht auf Eigentum).“ („Le droit à la ville“, S. 125)

Zum anderen ist für Lefebvre klar, dass die Arbeiterklasse die Kämpferin für ein Recht auf Stadt ist, sein muss, denn sie hat man an die Peripherie verbannt, ihr hat man die Stadt und deren Erträge entrissen. Das Recht auf Stadt „repräsentiert für sie [die Arbeiterklasse] zugleich einen Zweck und ein Ziel, einen Weg und einen Horizont“. (S. 133)

Zwei Jahre später nennt Lefebvre in dem Buch „La révolution urbaine“ drei Voraussetzungen für eine politische Strategie: 1. „die Einführung der urbanen Problematik in das politische Leben … und deren vorrangige Behandlung“; 2. „die Ausarbeitung eines Programms, dessen erster Artikel die allgemeine Selbstbestimmung sein muss“; 3. „die Einführung des ‚Rechtes auf die Straße’ (also des Rechtes auf Nichtausschluss aus der Zentralität und ihrer Bewegung)…“. (S. 159/160)

Warum Stadt, Wohnraum, Werk, Selbstbestimmung, Straße?

Nun könnte man sich fragen: warum soll es gerade um Stadt, um Wohnraum, um das Werk (œuvre, im Unterschied zum Produkt), um Selbstbestimmung, um Straße gehen? Lefebvre greift mit diesen Begriffen fünf Felder auf, die zentral für die Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus sind – und ich meine, heute mindestens so sehr wie Ende der 1960er.

Die Stadt verweist auf die Verstädterung infolge der Industrialisierung. Was sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Ländern ereignete, nämlich die „vollständige Urbanisierung der Gesellschaft“, hat einige Jahrzehnte später auch weite Teile der restlichen Welt, vor allem im globalen Süden, erfasst. David Harvey hat in einem lesenswerten Aufsatz in der New Left Review an verschiedenen Beispielen dargestellt, wie die Expansion und der Umbau der Städte seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Möglichkeit für das Kapital war, seinen Profit zu steigern. Und zwar immer auch durch neue Finanzinstitutionen, um diesen Umbau zu finanzieren. Nach dem Boom der Vorstädte bis in die 1970er Jahre hinein erleben wir nun die Inwertsetzung der bis dahin vernachlässigten Innenstädte mit den bekannten Begleiterscheinungen wie Vertreibung der finanziell schlechter gestellten Bewohner_innen durch rasant steigende Mieten oder Büroleerstände, die sich in einer kruden Profitarithmetik dennoch rechnen.

Der Wohnraum verweist auf die Ebene, auf der die Bewohner_innen ihr Alltagsleben und sich selbst produzieren. Lefebvre hat den Wohnraum vom „Lebensraum“ abgegrenzt, den er als ideologisches Konstrukt strikt ablehnte. Gegenüber den 1960ern ist der innerstädtische Wohnraum heute noch um eine zusätzliche Dimension erweitert, nämlich zunehmend Ort der immateriellen Produktion – in der Wunderwelt der Dienstleistungen und „Kreativindustrie“ – zu sein. Man könnte auch sagen: Im Wohnraum beuten sich die neuen Ein-Personen-Unternehmen selbst aus.

Das Werk verweist, drittens, auf die Warenlogik des Kapitalismus, die immer mehr Sphären durchdringt. Was früher zum direkten Gebrauch gefertigt wurde, muss sich heute verkaufen, rechnen und mit einer Marke versehen lassen. Dass Lefebvre den Begriff des „Werks“ aus der Kunst holt, halte ich für folgerichtig. Kunst kann eine Art Gegenrationalität zur Rationalität von Effizienz und Profit entfalten (oft genug tut sie es nicht). Auch Beuys hat übrigens, zur selben Zeit wie Lefebvre, auf dieses Potenzial hingewiesen.

Die Selbstbestimmung (Autogestion), viertens, verweist auf die monströsen Hierarchien des fordistischen Zeitalters, im Kapitalismus ebenso wie im Realsozialismus der damaligen Zeit. Während letzterer in sich zerfiel, hat sich die Hierarchie des Kapitalismus erhalten. Gut getarnt durch mehr „Bürgerbeteiligung“, lebt ein zuweilen kafkaesker Behördenapparat weiter, der sich um die Bewohner_innen wenig schert, aber jede Menge Hintereingänge für Lobbygruppen hat. „Die Idee der autogestion … erscheint ihm [Lefebvre] als Mittel und Zweck, mit dem das ‚Absterben des Staates’ vorangetrieben werden kann“, schreibt Klaus Ronneberger in einem ebenfalls lesenswerten Aufsatz. Lefebvre stellt sich damit in eine eher linkslibertäre Tradition, die bis zu Proudhon zurückreicht.

Die Straße schließlich verweist auf das, was wir meist als öffentlichen Raum bezeichnen. Er ist gleichermaßen Ort der Konsumwelt – „ein Aufeinanderfolgen von Schaufenstern“ (oder Bierbänken, im Falle der Schanze) – wie Ort von Unterdrückung und Kommando, um jegliche Störungen im kapitalistischen Gang der Dinge zu minimieren. Geradezu exemplarisch hierfür waren die „Gefahrenzone“, zu der die Stadt am 1. Mai-Wochenende die Schanze sowie Teile von Eimsbüttel und St. Pauli erklärte, und die jüngste Aufhebung der Versammlungsfreiheit in spanischen Innenstädten.

Ein neues libertäres Projekt

Das Recht auf Stadt ist sicher kein einklagbares Individualrecht im Sinne der bürgerlichen Rechtsordnung, das aus den Mühlen des parlamentarischen Systems hervorgehen könnte. Es ist vielmehr ein Bündel von kollektiven Rechten, die durch eine Aneignung des städtischen Raumes, durch dessen Neuproduktion wider die kapitalistische Logik erstritten werden. Es ist meines Erachtens auch ein neues libertäres Projekt, das an vernachlässigte Erfahrungen des 20. Jahrhunderts anknüpft: die spontane Entstehung von Räten in Russland 1905 und 1917 sowie in Deutschland 1918, die selbstbestimmte Vergesellschaftung in der spanischen Republik 1936 und die antitechnokratische Mobilisierung vor allem in Frankreich und der damaligen Tschechoslowakei 1968.

Diese Erfahrungen und Lefebvres oben beschriebene Überlegungen scheinen in den vielfältigen städtischen Bewegungen immer wieder auf – auch hier in Hamburg. Drei Beispiele: Wenn etwa auf der Solidaritätsdemo für die Rote Flora vom 30.4. „Stadt selbst machen“ gefordert wird, geht es um das Recht auf die Stadt, die Straße, die Selbstbestimmung, das Werk (als Nicht-Produkt), das sich bereits seit über 20 Jahren in der Flora manifestiert. Die „Wunschproduktion“ für die neue Nutzung des ehemaligen Real-Markts ist nichts weniger als der Versuch einer Autogestion durch die Anwohner_innen. Die „Freundliche Übernahme“, das Gegenkonzept von No BNQ zum neoliberalen Bernhard-Nocht-Quartier, will das Recht auf Wohnraum, das Recht auf das Werk und auf Aneignung einlösen.

Diese und andere Initiativen in zahlreichen Städten handeln aus einer Perspektive „von unten“: über die Aneignung von Räumen an konkreten Orten, über ein Be-streiten der kapitalistischen Durchdringung von städtischem Raum. Sie stellen für mich damit eine Erdung der generellen globalisierungskritischen Proteste dar, die notwendig sind, aber aus einer Perspektive „von oben“ agieren.

Ob das Projekt „Recht auf Stadt“ zu einer „urbanen Revolution“ führt, wird davon abhängen, Lefebvres Anstöße zu einer schlüssigen außerparlamentarischen Praxis weiterzuentwickeln und die vielen Stadtbewegungen miteinander zu verknüpfen. Entscheidend wird aber auch sein, immer wieder selbstkritisch innezuhalten und die blinden Flecken aufzudecken. Von denen gibt es derzeit einige: In der Hamburger „Recht auf Stadt“-Bewegung zum Beispiel bilden sich die – geografischen und sozialen – Ränder der Stadt noch nicht ab; Flüchtlinge, Migrant_innen und Obdachlose sind bisher nicht vertreten; die Kritik an patriarchalen Strukturen ist höchstens implizit enthalten.

Wer jedoch aufgrund dieser blinden Flecken den Kampf für das „Recht auf Stadt“ für einen reinen „Künstlerprotest“ hält, sitzt der medialen Verzerrung auf, die etwa die Besetzung des Gängeviertels nur als Spektakel begreifen kann. Nicht nur werden damit Bewegungen in anderen Städten, die aus anderen Zusammenhängen entstanden sind und auf dem Recht-auf-Stadt-Kongress zu Besuch sein werden, herabgewürdigt.

Wer überall nur eine blöde Bohème erblickt, rennt meines Erachtens auch in die Falle der „Klassifikation“, wie sie John Holloway scharfsinnig analysiert hat: „Sich auf Sein, auf Identität, auf das, was man ist, zu beziehen, führt immer zur Konsolidierung von Identität, und darum zur Stärkung des Bruchs des [gesellschaftlichen] Tuns, kurzum zur Bestärkung des Kapitals.“ Das Kapital lacht sich ins Fäustchen, wenn wir diskutieren, wer die legitimen Akteur_innen sein können und wer nicht.

Es ist verständlich, dass der Kampf für das „Recht auf Stadt“ manchen als eine Abkehr von der klassischen Revolution sauer aufstößt. Die Vorstellung vom Grand Soir, dem Großen Abend, nach dem alles anders und besser wird, kommt nicht nur mir angesichts der historischen Erfahrungen anachronistisch vor. „Lefebvre hatte Recht, wenn er darauf bestand, dass die Revolution eine urbane sein wird, im weitesten Sinne des Wortes, oder gar nichts“, schreibt David Harvey. Begonnen hat sie bereits. Es liegt an uns, sie zu einem wirklich antikapitalistischen Projekt weiterzuführen.

Die Stadt gehört allen

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Aus: Wohnbund Informationen II+III 2011 „Urbane Zukünfte“, Autor: nbo; eine knappe Bestandsaufnahme zur Zukunft der Stadt, basierend auf Diskussionen und Erfahrungen im Hamburger Netzwerk Recht auf Stadt

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Die Stadt ist zugleich Versprechen und Zumutung. Ihr Grundversprechen ist seit jeher die Freiheit, ein eigenes Leben führen zu können – auch jenseits gesellschaftlicher Normen –, die Begegnung mit Menschen, die anders, interessant, ja verführerisch sind, und der Schutz vor Not und Bedrohung von außen. Die Stadt ist im besten Fall, um einen Begriff von Henri Lefebvre zu gebrauchen, „verdichtete Unterschiedlichkeit“, die jedem zu seinem Glück verhelfen kann. Die Nachkriegsmoderne hat der Stadt noch ein anderes, durchaus sozial gemeintes Versprechen gegeben: auf wachsenden materiellen Wohlstand, auf ein reibungsloses Funktionieren der Infrastruktur, auf eine Bändigung des urbanen Durcheinanders. Dass beide Versprechen in Konflikt geraten können, war so lange auszuhalten, wie sie sich in unterschiedlichen Stadträumen abbildeten: Freiheit und Selbstverwirklichung eher in inneren Stadtteilen, Wohlstand und Effizienz direkt im Zentrum und in äußeren Stadtteilen.

Der Neoliberalismus der vergangenen zwei Jahrzehnte markiert nun insofern einen Bruch, als er die Stadt zu einem Objekt macht, das – ebenso wie Unternehmen – im globalen Wettbewerb bestehen muss. Das Arrangement aus inneren und äußeren Stadtteilen mit ihren je eigenen Charakteren gilt nicht mehr. Die „neoliberale“ Stadt begreift sich nun als ein einheitliches Markenprodukt, das Investoren und Kunden anlocken muss. Dabei produziert sie vielfältige Zumutungen. Sie schreibt ganze Stadtteile zur Aufwertung aus, beschneidet den sozialen Wohnungsbau, um sich vermeintlicher Kosten zu entledigen, und beteiligt sich teilweise aktiv an der Vertreibung von Menschen aus Vierteln, die nicht mehr deren geplanter Funktion nützen. Als Allgemeinwohl gilt nun, was der Stadt als Marke zugute kommt, nicht, was ihren Bewohnern in ihren konkreten Bedürfnissen nutzt – diese werden nun mit medialer Hilfe als „Partikularinteressen“ diffamiert. Die Zonierung in Konsum-, Unterhaltungs- und Residenzquartiere – in der sich am ehesten eine Kontinuität zur Nachkriegsmoderne findet – flankiert sie mit Überwachung und Personenkontrollen. Und obendrein belästigt sie ihre Bewohner mit Spektakeln fast im Wochenrhythmus. Städtische Demokratie verkommt dabei zu einer urbanen „Postdemokratie“ (Colin Crouch), in der Bürger formal beteiligt werden, während sämtliche essentiellen Deals zwischen Politik und Immobilienwirtschaft hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Stadt wird zum Raum, in dem der Neoliberalismus sich quasi „direkt vor der Haustür“ manifestiert.

Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass sich in den letzten Jahren in immer mehr Städten Widerstand regt, der auch theoretisch das Urbane thematisiert, so etwa die „Recht auf Stadt“-Netzwerke in Hamburg, Freiburg und München oder das „Wir bleiben alle“-Bündnis in Berlin. Zwar sind die verschiedenen städtischen Bewegungen recht heterogen, doch kristallisieren sich allmählich Ansätze für eine künftige Stadtentwicklung heraus, die einen Bruch mit den derzeitigen Verhältnissen bedeuten und zugleich an andere Entwicklungen anschließen.

1. Wohnraum ist keine Ware

Dass Mieten immerzu steigen, und zwar stärker als die Inflationsrate und erst recht stärker als Löhne, ist kein Naturgesetz. Dazu tragen zum Beispiel qualifizierte Mietspiegel bei, die keine Bestandsmieten berücksichtigen, sondern nur Mieten aus Neuvermietungen oder nach Mieterhöhungen. Mietspiegel sind so gewissermaßen die Lizenz zu weiteren Mieterhöhungen, die auch prompt nach Veröffentlichung erfolgen. In Hamburg etwa beteiligt sich selbst die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA/GWG an diesem Spiel. Das Problem steigender Mieten ließe sich in einem ersten Schritt lindern, wenn die Berechnungsgrundlage für Mietenspiegel entsprechend geändert wird. Auch soziale Erhaltungsverordnungen, die Mieterhöhungen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen nach Modernisierung für einige Jahre unterbinden, können den Druck etwas mindern. Langfristig muss sich jedoch die Erkenntnis durchsetzen, dass Wohnraum keine Ware wie jede andere ist, sondern ein elementares Recht, ohne dessen Durchsetzung die urbane Segregation gefördert wird, die letztlich mit zu Unruhen wie jüngst in Großbritannien führt. Ein wichtiger Schritt ist deshalb eine flächendeckende Mietpreisbindung, die es im Europa der Nachkriegszeit aufgrund von Wohnungsmangel bereits gegeben hatte. Langfristig muss jedoch eine Vergesellschaftung von Wohnraum in Angriff genommen werden. Die wird längst nicht mehr als klassische Verstaatlichung diskutiert, sondern eher in Richtung des so genannten Gemeineigentums – früher als Allmende bezeichnet, im Englischen als „Commons“. Wohnraum würde damit an die Commons-Bewegung angeschlossen, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewinnt und sich bislang auf Software, kulturelle Erzeugnisse und Biodiversität konzentriert. Eine Vergesellschaftung von Wohnraum wäre im Übrigen mit dem Grundgesetz (Art. 14 und 15) vereinbar.

2. Wir planen alle

Stadtplanung war lange Zeit kein Thema, dass Bürger in Scharen auf die Barrikaden trieb. Das ist vorbei: In nahezu allen Großstädten mehren sich die Proteste, die klassische Planungsvorhaben kritisieren, in denen die Bewohner bestenfalls in Workshops oder an Runden Tischen nachvollziehen dürfen, was Verwaltung und potenzielle Investoren konzeptionell vorgedacht haben. In diesen Protesten nur das St. Floriansprinzip zu sehen, wäre verfehlt. Anwohner von Entwicklungsprojekten machen Verwaltung und Stadtplanern schlicht ihre Expertenstellung streitig. Die neue Leitlinie heißt: Jede Planung fängt bei den Anwohnern an. Statt Partizipation gilt „Autogestion“, was sich ungefähr mit Selbstverwaltung oder Selbstbestimmung übersetzen ließe. Die kann konkret unterschiedliche Formen annehmen, von Quartiersversammlungen bis zu „Wunschproduktionen“ (wie in den 1990er Jahren in Hamburg im Projekt Park Fiction durchgeführt). Autogestion bedeutet auch: Städtische Behörden müssen völlig transparent arbeiten und sind gegenüber den Bürgern jederzeit rechenschaftspflichtig – nicht-öffentliche Absprachen und Vorgänge gehören der Vergangenheit an.

3. Die Rückkehr der Produktion in die Stadt

Der Neoliberalismus mit seiner Vorliebe für Dienstleistungen und Hochtechnologien hat in vielen westlichen Ländern eine erhebliche Deindustrialisierung gefördert – eine Entwicklung, die Daniel Bell bereits 1973 in seinem Buch „Die postindustrielle Gesellschaft“ recht hellsichtig skizziert hatte. Dass es sich um eine Fehlentwicklung handelt, zeigt der Bauwahn bei innerstädtischen Bürogebäuden, für die es so längst keine Nachfrage mehr gibt. So stehen allein in Hamburg 1,4 Millionen Quadratmeter Büroflächen leer, die sich für die Eigentümer dank Abschreibungsregeln dennoch rechnen. Die industrielle Produktion ist indes aus den Innenstädten ins städtische Umland gewandert, wenn nicht weiter in Schwellenländer. Diese globale Arbeitsteilung mag noch funktionieren, solange die Weltwirtschaft rund läuft. Sollte sie jedoch ins Stocken geraten, wenn die seit 2008 andauernde Finanzkrise sich zu einer weltweiten Depression auswächst, werden dies gerade die Städte zu spüren bekommen, die vor allem auf Dienstleistungen und Handel gesetzt haben. Dank neuer, kleinteiligerer computergesteuerter Fertigungsverfahren könnte in den kommenden Jahren ein Teil der Produktion wieder in die Städte zurückkehren und auch diejenigen zu Produzenten machen, die bislang nur Konsumenten sind. Diese Rückkehr zu fördern, ist allemal sinnvoller, als in absurd teure Leuchtturmprojekte zu investieren, die noch dem neoliberalen Denken von der Stadt als Marke verhaftet sind. Denn Nachhaltigkeit, dieses ungeliebte, weil schwer greifbare Konzept, meint immer auch wirtschaftliche Nachhaltigkeit.

4. Ökologie sozial gedacht

Klimawandel und Ressourcenknappheit, lange als Hypothesen gehandelt, sind heute als zwei der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft unumstritten. Gelöst werden müssen sie vor allem in den Städten, in denen in immer mehr Ländern die Mehrheit der Menschen Energie und Waren konsumiert. Sie läuten unter anderem das Ende der autogerechten Pendlerstadt ein, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, hin zur Stadt der kurzen Wege. Die bedeutet auch Nachverdichtung. Allerdings nur mit Verstand: Weder dürfen Städte ihre Grünflächen opfern, wollen sie nicht den Urban Heat Island Effect fördern, noch dürfen sie ökologisches Bauen zum Prestigeobjekt für Gutbetuchte machen. Ebenso wäre es fatal, die Kosten für die energetische Sanierung von älteren Gebäuden allein auf Mieter abzuwälzen – sie hätte eine „grüne Turbo-Gentrifizierung“ zur Folge. Wie heutige Stadtentwicklung Nachhaltigkeit missversteht, zeigt die Hamburger Hafencity: Zwar genügen die Neubauten den Standards für ökologisches Bauen, doch von der Verkehrsstruktur ist sie noch ganz aufs Auto fixiert, wie der Hamburger Zukunftsrat 2010 in seinem Nachhaltigkeitsgutachten feststellte. Und es ist wohl auch der Kritik dieses Gutachtens zu verdanken, wenn für die Osterweiterung der Hafencity nun doch Sozialwohnungen vorgesehen sind.

Die urbane Zukunft wird nicht die vorsichtige Korrektur des Status quo sein können. Was not tut, ist eine „urbane Revolution“ (Henri Lefebvre), die eine Stadt entstehen lässt, die Unterschiedlichkeit fördert, neue Formen der Demokratie einführt sowie wirtschaftlich, ökologisch und sozial gleichermaßen nachhaltig ist – kurz: eine Stadt, die allen gehört.

Debatte: Recht auf die Stadt

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Von  Dirk Gebhardt/Andrej Holm

Der Beitrag ist die gekürzte und redigierte Einleitung des von den Autoren herausgegebenen Sammelbandes: Initiativen für ein Recht auf Stadt. Theorie und Praxis städtischer Aneignungen. VSA Verlag, Hamburg 2011.

Ein Anspruch an die Bewegungen selbst

Zur Theorie und Praxis der internationalen Kämpfe um das Recht auf Stadt

von Dirk Gehardt und Andrej Holm

Unter dem Motto Recht auf die Stadt konstituieren sich weltweit neue städtische Protestbewegungen, die gegen die neoliberale Hegemonie eigene Ansprüche an den städtischen Entwicklungen einfordern. Die Aktivitäten und Forderungen, die sich auf den Slogan beziehen, sind dabei sehr vielfältig: in New Orleans fordern die MieterInnen der Sozialwohnungssiedlungen die Rückkehr in ihre preiswerten Wohnungen und in Hamburg besetzten KünstlerInnen die letzten historischen Gebäude im Gängeviertels. Kaum ein Stadtprotest der letzten Jahre, kaum eine städtische soziale Bewegung, die nicht auf die Parole Recht auf die Stadt zurückgriff. Dirk Gebhardt und Andrej Holm gehen den politischen und theoretischen Dimensionen der Forderung nach.

Am Anfang war das Wort: »Le droit à la ville«

Die Forderung nach einem Recht auf die Stadt geht auf den französischen Philosophen Henri Lefebvre zurück, der dieses in seinem Text „Le droit à la ville“ von 1968 als ein Recht auf Nichtausschluss von den Qualitäten der urbanisierten Gesellschaft beschrieb. (ak 550) Dies geschah vor dem Hintergrund der Erfahrungen des fordistischen Klassenkompromisses, der in den funktionalen, modernen Stadtplanungen unbefriedigende Lösungen hervorbrachte, die viele Bedürfnisse unbefriedigt ließen. So wurde etwa das Recht auf Wohnung in den Projekten des Massenwohnungsbaus nur unter dem Verlust anderer Qualitäten bedient. Insbesondere die Stadt als offener Raum des kulturellen Austausches und der Kommunikation war hier nicht zu finden – so die Argumentation von Lefebvre.

Weit über eine bloße Veränderung der Stadt hinaus versteht Lefebvre das Recht auf die Stadt als kollektive Wiederaneignung des städtischen Raumes. Diese soll zu einem veränderten, erneuerten städtischen Leben führen, das am Gebrauchswert der Stadt orientiert ist, wo „der Austausch nicht über den Tauschwert, Handel oder Gewinn vermittelt ist“. Das Recht auf die Stadt umfasst das Recht auf Zentralität, also den Zugang zu den Orten des gesellschaftlichen Reichtums, der städtischen Infrastruktur und des Wissens. Es umfasst auch das Recht auf Differenz, das für eine Stadt als Ort des Zusammentreffens, des Sich-Erkennens und Anerkennens und der Auseinandersetzung steht. Das Recht auf Stadt bezieht sich also gleichzeitig auf die Stadt als physische Form und auf die mit ihr in Wechselwirkung stehenden sozialen Verhältnisse und Praktiken. Es beschränkt sich nicht auf die konkrete Benutzung städtischer Räume, sondern umfasst ebenso den Zugang zu den politischen und strategischen Debatten über die künftigen Entwicklungspfade. Das Recht auf die Stadt orientiert sich an den utopischen Versprechungen des Städtischen und reklamiert ein Recht auf die schöpferischen Überschüsse des Urbanen.

In seiner Kritik der Verhältnisse in der fordistisch-kapitalistischen Stadt geht es Lefebvre nicht um die Situation der Angehörigen der gesellschaftlichen Eliten, die, wie Lefebvre sagt, „nicht mehr wohnen“, sondern ständig unterwegs sind und den Alltag transzendieren. Es geht um jene, die einem verordneten Alltag in der Stadt ausgesetzt sind: um die Jugendlichen, die Studierenden und Intellektuellen, die „Armeen von ArbeiterInnen mit oder ohne weißen Kragen“, die ProvinzlerInnen, die Kolonisierten und Semi-Kolonisierten aller Art, die im Elend der Banlieue, der „Wohngettos“, der heruntergekommenen Altstädte und des suburbanen Abseits leben – die buchstäblich an den Rand gedrängten Gruppen der fordistischen Stadt.

Globale Urbanisierung und neoliberale Stadtentwicklung

Die Rezeption des Rechts auf Stadt seit den 1990er Jahren trägt den Begriff von der soeben beschriebenen französischen Situation in sehr unterschiedliche Situationen in Lateinamerika, Südafrika, Nordamerika und Europa. Diesen verschiedenen Kontexten ist jedoch die Diagnose gemein, dass sich die Ausschlüsse unter neoliberalen Verhältnissen überall vermehrt und intensiviert haben. In Lateinamerika, noch stärker in Südasien und Afrika hat sich die Verstädterung oft in rasantem Tempo und zum größten Teil in Form informeller Siedlungen fortgesetzt. Grund sind Bevölkerungswachstum, Globalisierung und die u.a. von Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) herbeigeführte Verschlechterung wirtschaftlicher Bedingungen auf dem Land. Mittlerweile leben eine Milliarde Menschen in Slums. Die europäische Stadt erscheint so als die Ausnahme, und der „Planet der Slums“ (Mike Davis) mit seinen extremen Ausschlüssen ist zur Regel geworden.

Das Grundproblem der Kommodifizierung des städtischen Raums, die Unterordnung des Gebrauchswertes der Stadt unter ihren Tauschwert und der ungleiche Zugang zur Stadtgesellschaft und ihrer Ressourcen stellt sich heute also noch deutlicher als vor mehr als 40 Jahren für Lefebvre in Paris – auch wenn es für die dauerhaft ökonomisch ausgeschlossenen SlumbewohnerInnen eine noch größere Dringlichkeit besitzt als für die BewohnerInnen der westeuropäischen Städte.

Mit der stetig steigenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Städte setzt sich die neoliberale Neustrukturierung der Gesellschaft verstärkt in den Städten um und wird dort sichtbar. Gesellschaftliche Utopien und Alternativen sind daher in immer stärkerem Maß auch Alternativen für die Organisation des Städtischen. Mit dem Einfordern eines Rechts auf die Stadt verbindet sich die Hoffnung auf soziale Mobilisierungen und neue Bündnisse und auf eine Vergesellschaftung jenseits von Staat und Markt.

Die Rezeption des Rechts auf die Stadt ist unmittelbar mit sozialen Bewegungen und politischen Institutionalisierungsversuchen des Rechts auf Stadt verbunden. Zentral ist hier das 2001 begonnene Projekt der Habitat International Coalition (HIC), eines Zusammenschlusses von Nichtregierungsorganisationen im Umfeld des Weltsozialforums, einer Welt-Charta des Rechts auf die Stadt. Die von lateinamerikanischen Initiativen initiierte Arbeit an der Charta und der damit verbundene Austausch zwischen sozialen Bewegungen werden als Instrument gegen den Neoliberalismus und dessen Auswirkungen auf die StadtbewohnerInnen verstanden.

Die Welt-Charta definiert das Recht auf die Stadt als „gleiches Nutzungsrecht von Städten innerhalb der Prinzipien der Nachhaltigkeit, Demokratie, Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit“, als „kollektives Recht der BewohnerInnen, insbesondere der benachteiligten und marginalisierten Gruppen.“ Die Charta kodifiziert eine Vielzahl von sozialen, Menschen- und Freiheitsrechten, Rechte der politischen Teilhabe und Rechte des Zugangs zu Infrastruktur. Dabei ist das Recht auf die Stadt nicht als Zusatz auf einer Liste von Rechten, sondern eher als kollektiver Hebel zu deren Umsetzung gedacht.

Zeitgleich mit dem Beginn der Arbeit der HIC an der Welt-Charta wird mit den Stadt-Statuten in Brasilien (2001) versucht, das Recht auf die Stadt zu kodifizieren. Auf lokaler Ebene ist beispielsweise Mexico City 2010 mit einem Katalog von Rechten nachgezogen. Bereits im Jahr 2007 entstand die US-amerikanische Right to the City Coalition, in der sich soziale Bewegungen aus verschiedenen Großstädten zusammenschlossen, um für günstigeren Wohnraum, soziale Rechte und gegen Gentrifizierung zu kämpfen.

In Deutschland markieren wohl die Berliner Konferenz „The Right to the City“ 2008 und die vom BUKO-Arbeitsschwerpunkt Stadt/Raum und der Rosa Luxemburg Stiftung im gleichen Jahr durchgeführte Veranstaltung „Right to the City – soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt“ den Ausgangspunkt eines stärkeren Bezugs auf das „Recht auf die Stadt“. Dieser wird im Folgenden in vielen Städten, insbesondere von sozialen Bewegungen weiter getragen, unter anderem in Hamburg, wo die bislang wohl größte Mobilisierung unter diesem Schlagwort stattfand. Dabei ist auffällig, dass es auch in Deutschland zwischen den eher akademischen und eher aktivistischen Aktivitäten große Bezüge und Überschneidungen der Teilnehmerkreise gibt – und oft dieselben Personen in beiden Welten zugegen sind.

Welches Recht auf welche Stadt?

An wen wendet sich also, und für wen gilt das Recht auf die Stadt heute? Die Antwort der Stadtforschung als auch der sozialen Bewegungen lautet: die am stärksten Marginalisierten. Wie in Lefebvres Interpretation geht es um die BewohnerInnen, deren Anwesenheit nicht durch Staatsbürgerschaft, Visum, Besitz- oder Rechtstitel legitimiert ist, sondern um die, deren Anwesenheit prekär ist. Es geht um die ökonomisch Marginalisierten, um die, die nicht über das nötige Bildungskapital oder die Zeit verfügen, um ihre Interessen selbst in einer partizipativ angelegten Stadtentwicklung durchzusetzen. Es geht um die, die aufgrund einer gegenderten, heterosexuellen oder moralischen Ordnung informell oder formell aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen und von Gewalt oder von Vertreibung bedroht sind und die von der hegemonialen Raumordnung als störende Elemente im Raum identifiziert werden – um all die, denen das Recht auf die Stadt verweigert wird.

Peter Marcuse macht anhand von Lefebvres Charakterisierung des Rechts auf die Stadt als „Aufruf“ und „Forderung“ die Unterscheidung zwischen zwei Gruppen: Die „Forderung“ kommt von denen, deren elementarste materielle Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Der „Aufruf“ von den oberflächlich integrierten Entfremdeten. Das gemeinsame Handeln der ihrer fundamentalen Rechte Beraubten mit den Unzufriedenen und Entfremdeten bietet für Marcuse die größte Chance für die Durchsetzung des Rechts auf die Stadt. Somit lässt es sich nicht auf einzelne Projekte, Forderungen und Kontexte beschränken, sondern das Recht steht vielmehr für den Anspruch auf eine (Re)Politisierung der Stadtpolitik, verstanden als eine öffentliche Verhandlung über Dinge, von denen alle betroffen sind.

Vier Perspektiven für ein Recht auf die Stadt

Das Recht auf die Stadt wird vor allem für marginalisierte städtische Gruppen gefordert – die Debatten um den Begriff werden von sich kritisch verstehenden AkademikerInnen geführt. Sowohl in der akademischen Welt als auch in den Bewegungsansätzen scheint das Recht auf die Stadt seine Attraktivität gerade aus den flexiblen Interpretationsmöglichkeiten zu ziehen. Seminare zur historischen Einordnung der Werksgeschichte von Henri Lefebvre können unter dem Label „Recht auf die Stadt“ ebenso firmieren, wie Demonstrationen gegen steigende Mieten oder gesetzliche Verordnungen zur Erfüllung von UN-Beschlüssen. Tatsächlich wird der Begriff in unterschiedlichen Kontexten mit sehr verschiedenen Inhalten verbunden.

Doch hinter der scheinbaren Beliebigkeit lassen sich verschiedene Grundperspektiven erkennen, die in fast allen Bezügen zum Recht auf die Stadt aufgegriffen oder zumindest anerkannt werden. Das Recht auf die Stadt ist erstens eine Chiffre für eine an Lefebvre orientierte Perspektive auf die Stadt, es bietet zweitens Projektionsmöglichkeiten für gegenhegemoniale Visionen der Stadtentwicklung, wird drittens als Sammelbegriff für realpolitische Forderungskataloge verstanden und steht viertens für einen spezifischen, eher horizontalen Organisierungsansatz sozialer Bewegungen.

Ganzheitliche Perspektive. Das Recht auf die Stadt ist eine spezifische analytische Perspektive. Der vielfach aufgegriffene Recht-auf-die-Stadt-Essay von Henri Lefebvre kann nicht als geschlossene Theorie beschrieben werden, sondern lässt sich vor allem als Einladung zu einer spezifischen Perspektive auf Stadt und städtische Entwicklungen verstehen.

Das Städtische wird in dieser Perspektive aus seinem allzu engen Raumkorsett befreit und als zentraler Ausgangspunkt für die Produktion, Verteilung und Konsumption von Waren angesehen. Städte sind in diesem Verständnis nicht mehr nur die Arenen der politischen Macht oder Container der kapitalistischen Verwertungskreisläufe, sondern haben sich selbst zu Motoren und Gegenständen des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft entwickelt. In Anlehnung an Lefebvre wird die Stadt dabei als uvre, als Gesamtkunstwerk materieller, symbolischer und sozialer Prozesse verstanden, der eindimensionale materielle, ökonomische oder kulturellen Analyse nicht gerecht werden.

Das Recht auf die Stadt, so kann diese theoretische Perspektive zusammengefasst werden, beschränkt sich nicht auf die materiellen Veränderungen und Umverteilungen, sondern schließt Formen der symbolischen Repräsentation mit ein. Dies gilt nicht nur für den akademischen Blick auf die Stadt, sondern auch für die Mobilisierungsansätze von Protestbewegungen. Repräsentationen der Marginalisierten werden dabei nicht nur in den alltäglichen und politischen Auseinandersetzungen in umkämpften Räumen ständig neu ausgehandelt, sondern auch innerhalb der Recht-auf-die-Stadt-Bewegungen selbst. Insbesondere in breiteren Bündnissen ist die Frage, wer für ein solches Bündnis als SprecherIn wahrgenommen wird und wie einzelne Positionen in kollektiven Prozessen aufgenommen werden eine alltägliche Herausforderung.

Utopische Vision. Ein zweiter Bezug auf das Recht auf die Stadt lässt sich als utopische Vision der Stadtentwicklung zusammenfassen. Auch wenn sich die Forderungen nach einem Recht auf die Stadt zumeist in konkreten Auseinandersetzungen in umkämpften Räumen artikulieren, weisen sie doch regelmäßig über das aktuelle Konfliktfeld hinaus und sind als Metapher für eine grundsätzlich andere Stadt, ja eine andere Gesellschaft zu verstehen. Gerade weil Lefebvre mit seinen Thesen zur vollständigen Urbanisierung der Gesellschaft der Stadt ihr räumliches Korsett genommen hat, sind Veränderungen in den Städten gar nicht anders denkbar als im Rahmen von grundsätzlichen gesellschaftlichen Verschiebungen des Kräftefeldes. Die Stadt als Arena polit-ökonomischer Verhältnisse zu verstehen, schließt baulich-technisch und stadtplanerisch begrenzte Lösungen der Ausgrenzung und Marginalisierung aus und verknüpft Perspektiven der Veränderungen mit Fragen der Macht, des Eigentums und der Verwertung.

Das Recht auf die Stadt steht dabei für eine Vision des Wandels, der die Umverteilung materieller, sozialer, politischer, kultureller und symbolischer Ressourcen umfasst und auf den Prinzipien der Demokratie, Gleichheit, Anerkennung von Differenz und Einbeziehung basiert. Auch Henri Lefebvre verstand das Recht auf die Stadt vor allem auch als Recht auf Mitgestaltung auf allen städtischen Ebenen im Sinne einer „urbanen Demokratie“. Was klingt wie ein Allgemeinplatz aus den Handbüchern der partizipativen Stadtplanung, ist aber im Verständnis vieler städtischer sozialer Bewegungen eine gegenhegemoniale Herausforderung für die neoliberalen Marktlogiken und die gängigen Muster der Legitimierung staatlichen Handelns.

In der Praxis sozialer Bewegungen wird das Recht auf die Stadt als Brückenkonzept zwischen den Forderungen sozialer und demokratischer Reformen innerhalb des existierenden Systems und Orientierungen an einer radikalen Transformation des Städtischen und der grundsätzlichen Infragestellung der bestehenden Machtverhältnisse genutzt. Das Recht auf die Stadt als utopische Vision und gegenhegemoniales Projekt kann in der Unübersichtlichkeit von kurz- und langfristigen Forderungen, Reformorientierungen und Revolutionsfantasien als Orientierungspunkt für strategische Ausrichtungen und Maßstab für die Erfolge verstanden werden.

Reformpolitischer Forderungskatalog. In einer dritten Interpretationsmöglichkeit wird das Recht auf die Stadt von internationalen Organisationen, linken Stadtregierungen aber auch Bewegungen als Sammelbegriff für eine Reihe von reformpolitischen Forderungen und Vorschlägen verstanden. Aus Lefebvres Text werden dabei das Recht auf Zentralität, das Recht auf Differenz und das Recht auf Mitbestimmung hervorgehoben und unter den jeweiligen historischen und lokalen Voraussetzungen für die eigenen Auseinandersetzungen übersetzt. Verstanden wird das Recht auf die Stadt in diesem Kontext vor allem als Recht auf den Nichtausschluss von den Qualitäten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft und somit als Forderung nach einer Umverteilung von materiellen Ressourcen und politischer Macht.

Das Recht auf die Stadt nimmt dabei die Gestalt eines abstrakten Prinzips und Anspruchs auf Beteiligung an der Gestaltung, Verwaltung und Nutzung konkreter Plätze, Gebäude und Nachbarschaften an. Die vielfachen Mobilisierungen für ein Recht auf Wohnen, das Recht auf den Zugang zu öffentlichen Räumen, das Bleiberecht und die Bewegungsfreiheit für MigrantInnen oder auch für die Akzeptanz der eigenen Lebensentwürfe stehen für ein solches Verständnis.

Zentraler Adressat der Forderungen sind vielfach die Stadtregierungen. Vor allem Kampagnen und Mobilisierungen, in deren Zentrum die Formalisierung und Anerkennung informeller und illegalisierter Formen der Alltagsorganisation, des Arbeitens und Wohnens stehen, richten sich notwendigerweise auch an die Strukturen der jeweiligen politisch-administrativen Systeme. Der oftmals als radikale Subjektivität vorgetragene Anti-Etatismus von Protestbewegungen in Westeuropa und Nordamerika erscheint im Kontext städtischer Konflikte im globalen Süden teilweise als Privileg von Mittelschichtmilieus, die sich trotz ihrer Verweigerungshaltung auf die weitgehende Gültigkeit von rechtsstaatlichen Prinzipien und grundlegende öffentliche Versorgungsleistungen verlassen können.

Mobilisierungen, die stärker von ökonomisch, kulturell und über die Staatsbürgerschaft politisch Ausgegrenzten getragen werden, sind in ihrer Haltung zum Lokalstaat oftmals von Pragmatismus geprägt. Das Beispiel der Tenants and Workers United (TWU) in Virgina zeigt, wie ein solcher reformpolitischer Radikalismus aussehen kann. (1) Auf der einen Seite werden Organisationsstrukturen und Programme entwickelt, die eine systemüberwindende und gegenhegemoniale Politik ermöglichen, zugleich verfolgt die Initiative mit dem Programm des munizipalen, d.h. kommunalen Sozialismus eine Reihe von realpolitischen und umsetzbaren Forderungen. Der scheinbare Widerspruch zwischen der Radikalität der Ziele und der praktischen Beschränkung auf das reformpolitisch Mögliche wird in dem pragmatischen Verständnis eines Rechts auf die Stadt insofern aufgehoben, als dass die lokalpolitischen Forderungen sich tatsächlich auf das lokalpolitisch Durchsetzbare beschränken, aber in einem größeren Kontext sozialer Auseinandersetzungen die Kräfteverhältnisse verschieben und Mobilisierungsspielräume erweitern.

Organisationsansatz. In einer vierten Perspektive kann das Recht auf die Stadt als ein spezifischer Organisationsansatz von städtischen sozialen Bewegungen angesehen werden, der insbesondere das gemeinsame Agieren verschiedener, ansonsten marginalisierter Mobilisierungen betont. Das von Lefebvre formulierte Recht auf Differenz im Sinne von Anerkennung unterschiedlicher Perspektiven, Lebensentwürfen und Ausgrenzungen wird dabei zum Ausgangspunkt für die kollektive Artikulation verschiedener Forderungen und Bedürfnisse und einen gemeinsamen Diskussionsrahmen sehr unterschiedlicher Initiativen. Doch diese Anerkennung der Differenz folgt keiner sozialen Beliebigkeit.

Die in den USA entstandene Right to the City Alliance beispielsweise wird von AktivistInnen als Ansatz eines New Working Class Organizing angesehen. Gemeint sind damit all jene, die in den Produktionsprozessen der globalisierten Weltwirtschaft ausgebeutet werden. Im Vergleich zur traditionellen und gewerkschaftlich organisierten Arbeiterklasse beschreiben Jon Liss und David Staples diese neue Klasse als weiblicher, migrantischer, flexibler und in sich differenzierter. (1) Veränderte Produktionsabläufe, globale Wanderungsbewegungen und die Zerstörung des Wohlfahrtsstaates haben prekäre und zum Teil informelle Arbeitsverhältnisse in den Bereichen der Fertigung, der sozialen Reproduktionsdienstleistungen und der Wissensökonomie (Cyber-Proletariat) hervorgebracht, deren Interessen von den traditionellen Gewerkschaftsorganisationen nicht oder nur unzureichend vertreten werden.

Die mit dem Recht auf die Stadt assoziierten Bündnisorientierungen wurden auch hierzulande aufgegriffen, um spektrenübergreifende Mobilisierungen zu stadtbezogenen Themen zu initiieren. In Städten wie Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main, Düsseldorf und Freiburg wurden in den letzten Jahren lokale Bündnisse und Vernetzungsstrukturen entwickelt, die mit und ohne Bezug auf das Recht auf die Stadt den Anspruch verfolgen, verschiedenen Initiativen, Themenschwerpunkten und Aktionsformen einen gemeinsamen Mobilisierungsrahmen zu geben.

Das 2009 entstandene Recht-auf-Stadt-Netzwerk in Hamburg hat mit seiner öffentlichen Präsenz, der relativen Kontinuität und einem breiten Spektrum von Aktionen zu verschiedenen Feldern der Stadtpolitik mittlerweile eine Vorbildfunktion für stadtpolitische Organisierungsversuche in anderen Städten erlangt. AktivistInnen aus Hamburg werden bundesweit zu Veranstaltungen eingeladen und sollen über das Hamburger Erfolgsmodell berichten. Mit dem im Juni 2011 in Hamburg stattfindenden Recht-auf-Stadt-Kongress ist ein zusätzlicher Schub für Nachahmungsbewegungen zu erwarten.

Wie das Recht-auf-Stadt-Netzwerk aus Hamburg zeigt, handelt es sich im Gegensatz zu vielen anderen sozialen Bewegungen hier nicht um eine Jugendbewegung. Der Großteil der Aktiven ist zwischen 30 und 60 Jahren alt. Neben der Orientierung auf konkrete Nachbarschaftskonflikte gelang es dem Netzwerk immer wieder, auch gesamtstädtische Fragen auf die Tagesordnung der öffentlichen Debatte zu setzen und meinungsbildende Medien gezielt für die eigenen Ziele zu nutzen.

Im internationalen Vergleich werden jedoch Unterschiede hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung des Protestspektrum deutlich. Trotz der Heterogenität der Bewegung ist ihre überwiegende Herkunft aus einem linksalternativen Mittelklassemilieu, das sich in den Szenestadtteilen von Hamburg konzentriert, nicht zu übersehen. Ob das mit dem Recht auf die Stadt verbundene Potenzial neuer stadtpolitischer Bündnisse der Marginalisierten und Ausgegrenzten freigesetzt werden kann, wird sich nicht nur in Hamburg erst in der Praxis der Bewegung zeigen.

Wie weiter mit dem Recht auf die Stadt?

Im globalen Kontext sind die Recht-auf-die-Stadt-Bewegungen eine Reaktion auf die Gewalt, die von städtischen Entwicklungen heute auf marginalisierte BewohnerInnen und NutzerInnen der Städte weltweit ausgeht. Die weltweiten Protestmobilisierungen spiegeln die wachsende politische, wirtschaftliche und demographische Bedeutung der Städte und zeigen, dass die andauernde Krise des Neoliberalismus auch eine Chance für eine Neuerfindung und Wiederaneignung der Stadt beinhalten kann.

Eine Gemeinsamkeit dieser Bewegungen ist, dass sie neue städtische Orte herstellen, die sich nahe am Alltag der StadtbewohnerInnen befinden und der neoliberalen Verwertungslogik der Stadt zum Teil entzogen sind. Solche Orte der Wiederaneignung sind sozial weniger selektiv als die autonomen Räume der 1980er Jahre und geben auch den Teilen der Bündnisse und Koalitionen die Möglichkeit zur Formulierung eigener Gegenentwürfe, die es nicht gewohnt sind, sich in politischen Debatten zu artikulieren. Wie beispielsweise die Kämpfe von SexarbeiterInnen in Madrid oder von Illegalisierten in europäischen Städten gegen die Marginalisierung zeigen, werden Solidarität und Bündnisse gegen die Ausgrenzung werden von Momente der Integration und der Anerkennung von Differenzen getragen und bringen sie hervor. Das Recht auf die Stadt ist keine abstrakte Utopie, sondern vor allem ein Anspruch an die Bewegungen selbst.

Übergreifende Bündnisse, die verschiedene Teile der von der neoliberalen Stadt Betroffene zusammenbringen, sind ein zentraler Erfolgsfaktor für die Forderung nach dem Recht auf die Stadt. Doch solche Koalitionen basieren auf der Empathie der oberflächlich Integrierten mit denen, die ihrer elementarsten Rechte beraubt sind. Es braucht Bündnisse zwischen denen, die die Welt wissenschaftlich oder künstlerisch repräsentieren auf der einen Seite, mit den sowohl kulturell als auch materiell Ausgeschlossenen und ihrer eigenen Repräsentation beraubten Menschen auf der anderen Seite. Ein solcher Austausch stärkt die sozialen Bewegungen und verhindert die Ausbeutung der einen durch die anderen. Es bedarf auch der Hinterfragung, wessen legitime Forderung nach dem Recht auf die Stadt nicht vertreten ist.

Diese Frage der Empathie und der Breite der Bündnisse stellt sich auch im Hinblick auf die Beziehungen der sozialen Bewegungen in den Städten des globalen Nordens mit denen des Südens. Das Recht auf die Stadt trägt dabei das Potenzial eines neuen Internationalismus, in dem die sozialen Bewegungen des Nordens von denen des Südens – etwa von den Aktionsformen der Obdachlosenbewegung MTST in Brasilien – lernen können. Die Stärke dieser Bewegungen basiert auf einer räumlichen und sozialen Unmittelbarkeit, die in den Nachbarschaftsorganisierungen ebenso zum Ausdruck kommt wie in der sozialen Notwendigkeit der Auseinandersetzung. Das Recht auf die Stadt ist dort kein angesagter Modebegriff, sondern der Kampf von denen, die es nicht haben. Auch in dieser Hinsicht stehen die städtischen Protestbewegungen, die sich hierzulande das Recht auf die Stadt auf ihre Fahnen geschrieben haben vor großen Herausforderungen.

Dirk Gebhardt/Andrej Holm

Der Beitrag ist die gekürzte und redigierte Einleitung des von den Autoren herausgegebenen Sammelbandes: Initiativen für ein Recht auf Stadt. Theorie und Praxis städtischer Aneignungen. VSA Verlag, Hamburg 2011.

Das Recht auf die Stadt – von Andrej Holm

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Unter dem Stichwort „Right to the City“ – „Recht auf die Stadt“ – konstituieren sich weltweit neue städtische Protestbewegungen, die gegen die neoliberale Hegemonie eigene Ansprüche an den städtischen Entwicklungen einfordern. In New Orleans fordern die Mieter der Sozialwohnungssiedlungen die Rückkehr in ihre preiswerten Wohnungen, in Madrid protestieren Sexarbeiterinnen und Bewohner gegen die Verdrängung aus ihrem Stadtteil Nachbarschaft, in Istanbul wehrte sich eine Roma-Nachbarschaft gegen den Abriss einer ganzen Siedlung, in kleineren deutschen Städten wie Wuppertal mobilisieren breite Bündnisse gegen das kommunale Spardiktat, und in Hamburg besetzten Künstler die letzten historischen Gebäude im Gängeviertel, um die Neubaupläne eines Investors zu verhindern. Doch so vielfältig die einzelnen Aktivitäten und Forderungen sind, es gab kaum einen städtischen Protest, der nicht auf die Parole „Recht auf die Stadt“ zurückgegriffen hätte.

Wie aber ist diese Attraktivität des „Rechts auf die Stadt“ zu erklären, und welche Potentiale birgt der Ansatz für städtische soziale Bewegungen?
Inhaltlich geht die Forderung auf den französischen Soziologen Henri Lefebvre zurück, der schon in den 1960er Jahren das „Recht auf die Stadt“ als ein „Recht auf Nichtausschluss“ von den Qualitäten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft konzipierte. In seinem programmatischen Text „Le droit à la ville“ von 1968 beschreibt Lefebvre die kapitalistische Stadt, insbesondere ihre sozioökonomische Segregation und die damit einhergehenden Entfremdungserscheinungen wie die „Tragik der banlieusards“, die in weit vom Zentrum entfernte „Wohnghettos“ vertrieben wurden.[1] Vor diesem Hintergrund fordert er ein „Recht auf die Stadt“ als kollektive Wiederaneignung des städtischen Raums durch buchstäblich an den Rand gedrängte Gruppen.

Lefebvres Aufruf, das „Recht auf die Stadt“ einzufordern und die Stadt zu verändern, bezieht sich dabei gleichzeitig auf die Stadt als physische Form und die mit ihr in Wechselwirkung stehenden sozialen Verhältnisse und Praktiken. Gemeint sind damit alle Formen des diskursiven und instrumentellen Entwurfs künftiger städtischer Entwicklungen. Das „Recht auf die Stadt“ – so ließe sich dieses Verständnis zusammenfassen – beschränkt sich also nicht auf die konkrete Nutzung städtischer Räume, sondern umfasst ebenso den Zugang zu den politischen Debatten über die künftigen Entwicklungspfade.

Vor dem Hintergrund der fordistischen Stadtentwicklung von Paris benennt Lefebvre zunächst das „Recht auf Zentralität“ und das „Recht auf Differenz“als die zentralen Bestandteile eines Rechts auf die Stadt. Das Recht auf Zentralität steht für den Zugang zu den Orten des gesellschaftlichen Reichtums, der städtischen Infrastruktur und des Wissens. Das Recht auf Differenz deutet die Stadt als Ort des Zusammenkommens und der Auseinandersetzung. In anderen stadtsoziologischen Debatten ist von der „Integrationsmaschine Stadt“ die Rede, die aus der Fähigkeit, Verschiedenartigkeiten zu verdichten, einen individuellen und gesellschaftlichen Mehrwert zieht.

Eine dritte Ebene des Rechts auf die Stadt orientiert sich an den utopischen Versprechungen des Städtischen und reklamiert ein Recht auf die schöpferischen Überschüsse des Urbanen. Hintergrund sind die Erfahrungen des fordistischen Klassenkompromisses, der in den funktionalen, modernen Stadtplanungen „unbefriedigende Lösungen für die sozialen Grundbedürfnisse“ hervorbrachte. So wurde etwa das „Recht auf Wohnung“ in den Projekten des Massenwohnungsbaus unter Verlust anderer städtischer Qualitäten bedient. Insbesondere die Stadt als offener Raum des kulturellen Austausches und der Kommunikation war – so Lefebvres Argumentation – in den Wohnungsbauprojekten nicht zu finden.

Gegen die neoliberale Stadt – mehr als ein Recht auf Wohnung

Seit den späten 1990er Jahren wurde Lefebvres Forderung sowohl in der Geographie und Stadtforschung, als auch in sozialen Bewegungen vielfach wieder aufgenommen.[2] Hintergrund ist nicht länger, wie bei Lefebvre, die fordistische Stadt der Moderne, sondern die „neoliberale Stadt“, die mit neuen Produktionsweisen in Verbindung steht, eine neue Gestalt annimmt und neue Ausschlüsse produziert. Für die dauerhaft ökonomisch Ausgeschlossenen oder die aus gentrifizierten Innenstädten verdrängten Bewohner, aber auch für die wachsende Zahl der von restriktiver Einwanderungspolitik betroffenen Migranten stellt sich die Frage nach der Teilhabe an der Stadtgesellschaft und ihren Ressourcen in sehr unmittelbarer Weise.

Die Attraktivität des Konzeptes für Protestmobilisierungen lässt sich vor allem auf seine Vieldeutigkeit zurückführen. Das „Recht auf die Stadt“ lässt sich nicht auf einen individuellen Rechtsanspruch im juristischen Sinne verkürzen, sondern ist gesellschaftliche Utopie und kollektive Forderung zugleich.[3] Es skizziert Vorstellungen einer besseren Welt und gibt diesbezüglich Anregungen für soziale Bewegungen.

Die unter diesem Label zusammengefassten Mobilisierungen können im Kontext städtischer Veränderungen sehr unterschiedliche Funktionen einnehmen: von der Verteidigung sozialstaatlicher Artefakte wie des sozialen Wohnungsbaus in New Orleans über die graduelle Verbesserung der prekären Arbeitsbedingungen wie bei der kalifornischen Kampagne der Reinigungskräfte (Justice for Janitors) bis hin zur Forderung von Künstlern, an der Stadtrendite symbolischer Aufwertungen beteiligt zu werden, wie es die Besetzung des Gängeviertels in Hamburg zeigt. Damit schließt das Recht auf Stadt an eine sehr viel ältere Tradition städtischer Revolten an.

Die Stadt ist unsere Fabrik

Städte waren seit jeher Ort von sozialen Protesten[4] und damit auch lange Zeit Maßstab und Gegenstand einer sozialen Regulation der kapitalistischen Staatlichkeit. Regionalplanung und Wohnungsbauprogramme standen in den Industrieländern im 20. Jahrhundert für die Versuche, gesellschaftliche Konflikte auf lokalstaatlicher Ebene zu lösen und zu befrieden. In den Jahren der fordistischen Organisation kapitalistischer Gesellschaften sicherten regionale Entwicklungspläne die räumlichen Grundlagen industrieller Produktion. Programme staatlichen Wohnungsbaus zielten nicht nur auf eine angemessene Versorgung der Facharbeiterfamilien, sondern in Gestalt von „sozial gemischten“ Wohnquartieren und Eigenheimsiedlungen auch auf eine Befriedung der „gefährlichen Klassen“.[5]

Die Stadt war im 20. Jahrhundert der Ort und Gegenstand staatlicher Regulation – hier wurden die Rahmenbedingungen der industriellen Produktion gelegt. Den Städten wurde deshalb eine eigenständige Funktion innerhalb der gesellschaftlichen Organisation zugeschrieben.[6] In Abgrenzung zu Kapitalverwertungsprozessen der Industrie galt die Versorgung mit – vom Markt und von einzelnen Individuen nicht zu gewährleistenden – Ressourcen als Besonderheit des Städtischen. Diese als „kollektive Konsumtion“ bezeichneten Reproduktionsfunktionen werden – so die Annahme – im Kontext eines räumlich begrenzten Systems gesellschaftlich organisiert und bereitgestellt. Sie waren und sind umkämpfter Gegenstand sozialer Bewegungen und politischer Interventionen.

Die Analyse des Städtischen verweist auf dessen fundamentalen Bedeutungswechsel für die Produktionsverhältnisse. „Die Metropole“, schreiben Michael Hardt und Toni Negri, sei „der Ort biopolitischer Produktion, weil sie der Raum des Gemeinsamen ist, der Raum von Menschen, die zusammen leben, Ressourcen teilen, kommunizieren und Waren und Ideen tauschen“. Stadt ist dabei nicht länger der reproduktive Rahmen und Container einer industriellen Produktion, sondern wird selbst zur Produktivkraft: „Was die Fabrik für die industrielle Arbeiterklasse war, ist die Metropole für die Multitude“, nämlich der Ort der Produktion, Begegnung und Organisation sowie des Widerspruchs und der Rebellion. Die Qualitäten des Städtischen werden nicht mehr als etwas den Produktionsverhältnissen Äußerliches angesehen, sondern als Quelle der Produktivität.[7]

Doch der Gebrauchswert der Städte lässt sich nicht auf konsumtive oder produktive Funktionen beschränken, denn er ist immer beides. Auch städtische Mobilisierungen, wie sie in den Recht-auf-die-Stadt-Bewegungen sichtbar werden, greifen beide Funktionen auf. Als Forderungen zur Qualität und Ausstattung kommunaler Leistungen und Infrastruktur (etwa in Kampagnen gegen die Privatisierung von Wasserbetrieben oder gegen die Schließung eines städtischen Schwimmbades) orientieren sie sich an den klassischen Funktionen der Stadt als Ort der „kollektiven Konsumtion“; Mobilisierungen gegen die Verdrängung aus bestimmten Stadtteilen und für den Erhalt von Freiräumen hingegen richten sich auch auf die Produktivität des Gemeinsamen in einer Wissensökonomie.

Soziale Bewegungen in der unternehmerischen Stadt

Der Erfolg sozialer Protestbewegungen ist dabei nicht nur von den eigenen Mobilisierungsressourcen, sondern auch von ihren Integrationspotentialen in den jeweiligen Modus der Stadtentwicklung abhängig. So sind die Post-Katrina-Proteste der Afroamerikaner in den Sozialwohnungen von New Orleans (mit der Forderung eines Rechts auf Rückkehr) nicht an ihrer Mobilisierungskraft gescheitert, sondern vor allem am stadtpolitischen Interesse einer nachhaltigen Aufwertung und gentrification der Stadt.[8] Die Kampagne der Reinigungskräfte in den USA (Justice for Janitors) war nicht nur wegen ihrer enormen Mobilisierungskraft und Ausdauer erfolgreich, sondern auch weil mit der Internationalisierung ihrer Proteste ein Imageschaden für global agierende Immobilienunternehmen drohte, die sich weltweit als zuverlässige Partner der Stadtentwicklung präsentieren wollten. Der partielle Erfolg der Hamburger Künstler, die einen Abriss der historischen Gebäude verhinderten und mittlerweile mit der Stadtregierung über langfristige Pachtverträge verhandeln, wurde auch möglich, weil das Kooptieren rebellischer Künstlerinnen und Künstler in das Stadtentwicklungsleitbild Hamburgs als „Creative City“ integriert werden konnte.

Unterschiedliche Erfolgsaussichten sozialer Bewegungen sind also immer auch im Kontext der jeweiligen Stadtpolitik zu verorten. Aktuelle Stadtentwicklungspolitik wird oft, etwa bei David Harvey und Bob Jessop, als Trend zur „unternehmerischen Stadt“ beschrieben. Sie haben drei Ebenen solcher unternehmerischer Stadtpolitik herausgearbeitet. Erste Ebene ist die Konkurrenz der Städte untereinander in Form von Standortwettbewerben um Investitionen, steuerzahlende Einwohner, Tourismusströme und Großereignisse. Zweiter Aspekt ist die Verbetriebswirtschaftlichung der Verwaltungsarbeit: Unternehmerische Haushaltsführung, Neubewertung städtischer Eigenbe-triebe und Wohnungsbestände oder Auslagerung unrentabler Bereiche (Jugendkulturarbeit, Integrationspolitik) stehen für die unternehmerische Organisation der Städte nach innen. Als drittes Merkmal wird eine unternehmerische Orientierung des Handelns von Stadtregierungen angeführt. Dabei wird, ganz im Zeitgeist neoliberaler Ideologie, die schöpferische Kreativität von Unternehmern als dynamischer Entwicklungsmotor beschrieben. Public-Private-Partnerships sind hierfür typische Beispiele. Verbunden damit ist die Hoffnung, es könne Stadtverwaltungen gelingen, ganz mühelos und ohne wesentlichen eigenen Mitteleinsatz die Kraft privatwirtschaftlicher Investitionen zu bändigen und in die gewünschte Richtung zu lenken. In der Realität bleiben die Städte oft ohne Gegenleistungen auf den – erheblichen – Kosten sitzen und müssen auf die sozialen Sickereffekte eines Aufschwungs (trickle down) hoffen. Wie dieses Sickern des Wohlstandes konkret aussehen soll, konnte bisher niemand erklären – der Attraktivität dieses Konzeptes hat es bis heute nicht geschadet. Soziale Bewegungen, die eine Umverteilung ökonomischer und städtischer Ressourcen einfordern, begeben sich also tendenziell in Opposition zu den Zielen solcher neoliberaler Stadtpolitik.

Die „Creative City“ und die Stadt der Enklaven

Eine beliebte Form unternehmerischer Stadtpolitik ist die Creative-City-Orientierung. Ausgehend von Thesen des kanadischen Stadtplaners Richard Florida versuchen viele Städte, für die sogenannte kreative Klasse attraktive Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen.[9] Zur kreativen Klasse zählen dabei die Leistungsträger der neuen wissensbasierten Wirtschafts- und Dienstleistungsbereiche. Angestellte in PR-Agenturen und Wissenschaftlerinnen in Forschungslabors werden ebenso zur kreativen Klasse gezählt wie Kulturschaffende. Floridas Untersuchungen beschreiben diese Kreativen als wählerische, fast divenhafte Gestalten, die nicht ihren Jobs hinterherziehen, sondern ihre Arbeit mit in die Städte nehmen, in denen es ihnen so gut gefällt, dass sie dort auch leben wollen. Dabei gelten „weiche“ Standortfaktorenals die entscheidenden Argumente im Wettbewerb um die Ansiedlung der kreativen Klasse: ein tolerantes Klima in der Stadt, individuelle Entfaltungsmöglichkeiten, ein attraktives Kultur- und Freizeitangebot. Wie in den klassischen unternehmerischen Orientierungen geht es den Städten um die Herstellung einer besonderen Anziehungskraft für die umworbene Gruppe. Seit gut einem Jahrzehnt versuchen Großstädte weltweit, sich als Creative Cities ein neues Image zu geben. Diese Stadtpolitik hat ihre Anhängerschaft nicht zuletzt in grünen und alternativen Milieus. Insbesondere Gruppen und Initiativen aus dem künstlerisch-kreativen Bereich haben in diesem Rahmen wesentlich bessere Chancen, Partner in den städtischen Eliten zu finden.

Trotz dieser Schnittmengen von (sub-)kultureller Mobilisierung und stadtpolitischer Orientierung an einem Creative-City-Leitbild haben nur wenige dieser Initiativen tatsächlich Erfolg. In Berlin-Mitte beispielsweise soll gerade das mittlerweile kommerzialisierte Flaggschiff der Alternativkultur „Tacheles“ einem Büroneubau weichen. Die Kreativindustrie wird offenbar nur so lange gefördert, wie sie einer immobilienwirtschaftlichen Verwertung nicht im Wege steht.

Der Grund für die Spannungen zwischen verschiedenen Sektoren der Stadtökonomie liegt darin, dass die Immobilienverwertung – und damit die Stadtentwicklung – zur zentralen Strategie des nach Anlagesphären suchenden Finanzkapitals geworden ist. Neben spektakulären Bauprojekten wie dem Dubai-Tower oder dem Federation-Tower in Moskau stehen hierfür vor allem Aufwertungsprozesse in bisher vernachlässigten Innenstadtvierteln und die Etablierung von Luxuswohnsegmenten in den städtischen Wohnungsmärkten. David Harvey erklärt diesen Trend als Lösungsstrategie für die Verwertungskrisen der kapitalistischen Produktion. Als Ausweg aus Verwertungskrisen seien in der Geschichte der kapitalistischen Ökonomie regelmäßig Investitionen in den sogenannten zweiten Kapitalkreislauf – also in große Bauprojekte, Immobilienmärkte und Infrastrukturen – getätigt worden, vorwiegend zur Absorption der Gewinne, um deren Reinvestition in Bereiche der Warenproduktion (erster Kapitalkreislauf) einzuschränken.[10]

In der Folge dieser immobilienwirtschaftlichen Investitionen sind Gentrifizierungsprozesse von einem Sonder- zum Regelfall der Stadtentwicklung geworden. In der unternehmerischen Stadt von heute regieren überwiegend Immobilienverwertungskoalitionen, die weite Teile der Investoren, der Bauunternehmen, der finanzierenden Banken und der politischen Klasse umfassen. Im Zusammenhang mit fortschreitenden Aufwertungsdynamiken kommt es zur Etablierung von immer neuen Exklusionsmechanismen, die nicht nur entlang sozialer Ressourcen erfolgt, sondern auch entlang verschiedener Lebensstilgruppen. Eine solche „Stadt der Enklaven“ ist durch die Konkurrenz und Abschottung „neuer sozialer Großgruppen der Wissensgesellschaft“ gekennzeichnet und lässt die traditionellen städtischen Qualitäten der Kommunikation, Ambiguität und Differenzerfahrung erodieren.[11] Kurz: Die immobilienwirtschaftlichen Strategien verschärfen nicht nur die sozialräumlichen Spaltungen, sondern gefährden auch die lokalen Voraussetzungen für die wissensbasierten und kreativwirtschaftlichen Produktionsbeziehungen.

Gentrifizierung als Mainstream – und der „Aufstand der Mittelklasse“

Diese Verwandlung der gentrification zum neuen Mainstreamprogramm hat auch die städtischen Protestkulturen verändert. Waren es in der Vergangenheit vor allem Mieterorganisationen und traditionelle Bürgerinitiativen in den betroffenen Quartieren, die sich gegen eine Verdrängung organisierten, engagieren sich heute auch viele Kulturschaffende und Bildungsbürger.

In den bereits gentrifizierten Altbauvierteln Berlins ist ein regelrechter Aufstand der Mittelklasse zu beobachten. Zur Verhinderung von Bauprojekten, der Umgestaltung von Straßenzügen und zur Durchsetzung besserer Schulen haben sich in den letzten Jahren in vielen aufgewerteten Nachbarschaften erfolgreiche Bürgerinitiativen gebildet. Anders als die nachbarschaftliche Massenmobilisierung der Vergangenheit sind es meist zahlenmäßig kleine, aber gebildete und artikulationsstarke Gruppen, die es schaffen, ihre eigenen Interessen in öffentlichen Angelegenheiten zu verwandeln. Insbesondere für die steigende Zahl der Wohnungseigentümer in den Sanierungsgebieten geht es dabei um mehr als nur die Durchsetzung der eigenen Lebensstilvorstellungen. Die Aufwertung des Wohnumfelds, der freie Blick auf eine Grünfläche und die Versorgung mit hochwertigen Bildungsangeboten prägen die Nachbarschafts- und Lagequalität und damit auch den Wert des eigenen Besitzes. Im Gegensatz zu klassischen NIMBY-Revolten (Not In My Back Yard) verfolgen die neuen Bürgerinitiativen jedoch keine Abschottung nach unten, sondern mobilisieren in der Regel gegen die nächsten Stufen der Aufwertung. Damit bieten sich neue Bündnismöglichkeiten innerhalb stadtpolitischer Mobilisierungen an; zugleich wächst aber auch die Gefahr von Spaltungen innerhalb der städtischen Protestbewegungen.

So beteiligten sich an der Berliner Kampagne gegen die Investitionsplanung MediaSpree (zur Neubebauung des Spreeufers in Friedrichshain-Kreuzberg) nicht nur Mietergruppen, ökologische Initiativen und Gruppen aus dem Spektrum der ehemals besetzten Häuser und Wagenburgen, sondern auch Clubbetreiber, Künstlerinnen und Stadtteilinitiativen aus den Ostberliner Aufwertungsvierteln.[12] Hier zeigte sich auch eine Zweischneidigkeit dieses Protests: Einerseits erzielte er eine große mediale Aufmerksamkeit für das Anliegen der Initiativen. Andererseits begünstigte die „bunte Mischung“ eine tendenziell entpolitisierende Darstellung des Protestes: Die Berichterstattung konzentrierte sich auf die drohende Schließung mehrerer Clubs am Spreeufer, die auch für den Tourismus von Bedeutung sind, während Mietsteigerungen und Verdrängung infolge des Investitionsprojektes kaum thematisiert wurden.[13]

In Hamburg haben sich über 40 verschiedene Gruppen sogar in Form eines Recht-auf-Stadt-Netzwerks institutionell zusammengeschlossen. Mit dem medial beachteten Manifest „Not in our Name – Marke Hamburg“ wandten sich Musiker, bildende Künstler und Theaterschaffende gegen die Vereinnahmung kultureller Aktivitäten für das Stadtmarketing. Auch hier war es die Präsenz von Prominenten, die ein erfolgreiches Medienecho auslöste und auf diese Weise zum schnellen und überraschenden Erfolg der Gängeviertelbesetzung beitrug, bei der eine Gruppe von Künstlern ein bereits verkauftes und zum Abriss vorgesehenes Gebäude im Zentrum Hamburgs besetzt hatte. Nach mehreren Wochen wurde das Gebäude vom holländischen Investor zurückerworben und soll nun an die Künstler verpachtet werden. Anders als bei den Berliner MediaSpree-Protesten reichten die Forderungen – so etwa die Abkehr vom unternehmerischen Stadtentwicklungsleitbild Hamburgs – von Anfang an über den unmittelbaren Protestanlass hinaus, so dass die Konzessionsentscheidung der Hamburger Landesregierung nicht als Befriedung wirkte. Wesentlich war also die Breite des am Protest beteiligten Spektrums ebenso wie der allgemeine, über konkrete Einzelprojekte hinausgehende Gestaltungsanspruch für die Zukunft des Städtischen. Die Bezugnahme auf das „Recht auf die Stadt“ ist also alles andere als Zufall.

„Recht auf die Stadt“ – mehr als nur ein Slogan

Die Forderung nach einem „Recht auf die Stadt“ erhebt einen allgemeinen Anspruch auf Nichtausschluss von städtischen Ressourcen und Dienstleistungen. Zugleich werden mit einem Recht auf die Stadt Visionen für eine andere, emanzipative und gerechtere Stadtentwicklung formuliert. Städtische Utopien sind dabei nicht als Masterplan für eine bessere Stadtentwicklung zu sehen, sondern eher als ein Anforderungskatalog an konkrete Stadtentwicklungsprojekte und Stadtpolitik. Das Recht auf die Stadt orientiert sich ökonomisch an einer Umverteilung zugunsten der benachteiligten Gruppen, kulturell an der Anerkennung und Berücksichtigung von Differenz und unterschiedlichen Zugangsweisen zum Städtischen sowie politisch an der Ermöglichung demokratischer Mitgestaltung für alle.[14] So verstanden, bietet das Konzept eine geeignete Orientierung in den städtischen Konflikten im Neoliberalismus.

Für Protestbewegungen kann das „Recht auf die Stadt“ verschiedene Funktionen haben. Es ist erstens Legitimationsressource im Sinne einer moralischen Ökonomie, die legitime Vorstellungen sozialer Normen und Verpflichtungen mit einer breiten öffentlichen Zustimmung verbindet. Insbesondere die Formulierung eines Rechts auf Nichtausschluss von den städtischen Qualitäten hat universellen Charakter.[15]

Zweitens ist es Orientierungsmaßstab für die Organisation des Gemeinwesens und eröffnet Perspektiven der lokalstaatlichen Institutionalisierung von Forderungen. So können verschiedene Instrumente, Programme und Leitbilder von Stadtregierungen mit den skizzierten Dimensionen eines „Rechts auf die Stadt“ beurteilt und überprüft werden.

Drittens ist das „Recht auf die Stadt“ Praxisorientierung für eine Ausrichtung sozialer Bewegungen auf eine politische Selbst- und Mitbestimmung sowie Praktiken der (Wieder-)Aneignung. Es lässt sich nicht auf konkrete Forderungen und Projekte beschränken, sondern steht für den Anspruch auf eine Repolitisierung im Sinne einer öffentlichen Verhandlung über Dinge, von denen alle Betroffen sind.

Und viertens schließlich ist es Organisationsansatz für neue, breite Bündnisse, da unter dem Dach eines „Recht auf die Stadt“ verschiedene, sonst marginalisierte Themen und Initiativen zu „neuen Mehrheitsbündnissen“ verknüpft werden können. Ansätze für die Institutionalisierung derartiger Netzwerke gibt es bereits in US-Städten, aber auch in Hamburg. Und deren Notwendigkeit liegt auf der Hand: Denn die neoliberale Umstrukturierung der Gesellschaft wird verstärkt in den Städten umgesetzt und dort sichtbar werden. Gesellschaftliche Utopien und Alternativen werden daher immer auch Alternativen für die Organisation des Städtischen sein. Mit einem „Recht auf die Stadt“ verbindet sich daher heute weit mehr als die einst von Lefèbvre geforderte Mobilisierung marginalisierter Interessengruppen. Denn das „Recht auf die Stadt“ beinhaltet die Chance auf ganz neue, breite Bündnisse, die Perspektiven einer Vergesellschaftung jenseits von Staat und Markt verfolgen. Voraussetzung dafür ist aber ein inhaltlicher und organisatorischer Bezug zu den Verlierern des neoliberalen Stadtumbaus. Denn ohne den klaren Bezug auf die soziale Frage droht das „Recht auf die Stadt“ als Lifestyle-Revolte von Mittelschichtsangehörigen zu versanden.

Zur Entstehung und Bedeutung des »Recht auf Stadt« im Werk Lefebvres – langer Text

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Quelle: Hier 

von Marcel Schmidt

  1. 1. Einleitung
  2. 2. Philosophisch-anthropologische Ausgangspunkte
  3. 3. Von der »Kritik des Alltagslebens« zum »Recht auf Stadt«
  4. 4. »Das Recht auf Stadt« als strategische Hypothese der »Revolution des Urbanen«
  5. 5. Die »Revolution des Urbanen« als Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums – Versuch einer weiterführenden Zusammenfassung
  6. Literatur

1. Einleitung

»Recht auf Stadt« – ein Slogan, unter dem sich weltweit Protestbewegungen verschiedener Ausrichtungen zusammenfinden (zum Überblick Holm/Gebhardt 2011; Holm 2018), der es von der Straße über die Stadtparlamente bis zur »New Urban Agenda« der Vereinten Nationen (Habitat III) geschafft hat. Auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU 2016) beruft sich auf Lefebvres »Recht auf Stadt«, um »Die transformative Kraft der Städte« hinsichtlich der gegenwärtigen Klimaproblematik herauszustellen. Allerdings verbirgt sich hinter dem »Recht auf Stadt« weit mehr als ein griffiger Slogan und auch die konzeptionelle Einarbeitung des WBGU (2016) in anstehende Transformationsprozesse der Städte löst das »Recht auf Stadt« aus dem Werk Lefebvres sowie dessen philosophischen wie gesellschaftstheoretischen Implikationen heraus und verkürzt es dadurch zu einem »Recht auf Stadt«-light. Aus diesem Grund wird hier der Versuch unternommen, das »Recht auf Stadt« in der Reichweite Lefebvres anderer Schriften aufzuarbeiten. Dieser Versuch muss notwendigerweise als unvollständig gelten und kann nicht mehr als den Anspruch eines kursorischen Überblicks haben. In diesem Artikel kann nicht das Gesamtwerk Lefebvres von mehr als 60 Büchern und weit über 200 Artikeln (eine Übersicht stellt Müller-Schöll 1999, 296 ff. zusammen) systematisch ausgearbeitet und kritisch gewürdigt werden – selbst wenn es eine Gesamtausgabe der Werke Lefebvres bereits gäbe. Stattdessen muss sich auf eine Auswahl beschränkt werden. Weit umfassendere und kritische Würdigungen des Themenfeld Stadt im Gesamtwerk Lefebvres findet sich u. a. bei Merrifield (2006), Guelf (2010), Schmid (2010), Dell (2014) und Roskamm (2017). Der folgende Beitrag beginnt mit einer kurzen Darlegung der philosophischen Ausganspunkte Lefebvres, stellt dann die Entwicklung seines Denkens von der »Kritik des Alltagslebens« zum »Recht auf Stadt« und im Anschluss das »Recht auf Stadt« als strategische Hypothese der »Revolution des Urbanen« dar, welche dann abschließend als Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums zusammengefasst wird.

2. Philosophisch-anthropologische Ausgangspunkte

Um die Tragweite des »Recht auf Stadt« zu überblicken ist es notwendig, sich zunächst Lefebvres frühen Schriften vom Ende der 1930er Jahre zuzuwenden, in denen er, wie er später resümiert, „Philosophie als Anthropologie“ zu entwickeln beginnt, um sich darin von der philosophischen Anthropologie, die den Menschen als Objekt erforscht und zu definieren trachtet, abzugrenzen (Lefebvre 1975b, 324). Mit dieser Abgrenzung versucht Lefebvre zu markieren, dass „[d]er Mensch […] mit seiner Natur [spielt], nicht gegen sie“ (Lefebvre 1975b, 324). Dieses Spiel sieht er in der frühen ionischen Naturphilosophie angelegt, insbesondere bei Heraklit, der in Lefebvres Werken nicht systematisch, aber immer mal wieder hervorgehoben wird, und dann später wieder bei Hegel, dem es „kein Satz des Heraklit“ gibt, „den ich nicht in meine Logik aufgenommen“ (Hegel 1970, 320), sowie dessen materialistische Richtigstellung »vom Kopf auf die Füße« bei Marx (Engels 1989, 48). Aber auch und vor allem bei Nietzsche und dessen philosophischer Figur des „Übermenschen“ im »Zarathustra«. Nietzsche utopiert hier einen von allen metaphysischen So-sein-Zwängen befreiten, sich immer wieder neu entwerfenden und verwerfenden – und eben dadurch – immer nur vorübergehend seienden Menschen, der ganz und gar Leib ist und radikal seinen Bedürfnissen folgt (Nietzsche 1954). Gerade diese Betonung des leiblichen Menschen in der nietzscheanischen Figur des Übermenschen hebt Lefebvre als das eigentlich Menschliche am Menschen hervor (Lefebvre 1939, 164).

Betont er bei Nietzsche den Übermenschen, so betont er bei Marx den totalen Menschen. Mit diesem für unsere heutigen Ohren eher schrecklich anmutenden Begriff umreißt Marx in seinen »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844« den Menschen als allseitiges Wesen, dass sich „sein allseitiges Wesen auf eine allseitige Art an[eignet]“ (Marx 1968, 539). D. h. mit allen Sinnen des Leibes, der sich eben darin sich als individueller Mensch hervorbringt. Zugleich sind die Sinne des Leibes aber keine abgeschlossenen Monaden, denn was und vor allem wie sie – im philosophisch-qualitativen, nicht im naturwissenschaftlichen Sinne – wahrnehmen, ist immer schon Resultat einer sozialen Entwicklung. Dass ein Ohr Musik hört, setzt voraus, dass es Leute gibt, die auf eine bestimmte Weise Musik machen – heute anders als noch vor Jahrzehnten, gar Jahrhunderten. Doch nicht nur die Art und Weise des Musikmachens ist eine Frage gesellschaftlicher Sozialisationsverhältnisse, sondern auch, wie sie vom Hörenden angenommen wird (Marx 1968, 541). Mit den anderen Sinnen verhält es sich in gleicher Weise.

Sinnesorgane und Sinneswahrnehmung sind für Marx daher gesellschaftlich verflochten und diese sozialen Verflechtungen konstituieren die menschliche Subjektivität als immer schon mit der Zeit vorübergehendes und sich entwickelndes. Nämlich als seine historische menschliche Ver- und Entwicklung. Marx nimmt hier – wenigstens in der anthropologischen Philosophie des nach vorne offenen Menschen – Nietzsches Argumentationsfigur des Übermenschen vorweg, spricht allerdings vom „totalen Menschen“ (Marx 1968, 539), der sich dann als totaler, d. h. als allseitiger entwickeln kann, wenn er seine Leibnatur in der Gesellschaft, die ihn konstituiert, frei entwickeln kann, indem er sich seine Leibnatur mit den Mitteln der ihn konstituierenden Gesellschaft aneignen und ausgestalten kann. Entsprechend ist der totale Mensch für Lefebvre in »Der dialektische Materialismus« (1939) „das freie Individuum in der freien Gesellschaft. Er ist die vollentfaltete Individualität in der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher Individualitäten“ (Lefebvre 1971a, 134). Er ist der sich seine Leibnatur und Mitwelt resp. seine innere und äußere Natur in vollem Umfange aneignen und dadurch sinnlich selbst ausgestalten könnende Mensch, der hierfür allerdings auf gesellschaftliche Verhältnisse treffen muss, die es ihm ermöglichen, sich und seine Mitwelt, d. h. sich seine innere wie äußere Natur auf seine Weise aneignen und mitgestalten zu können, statt ihn auf ein bestimmtes So-Sein durch bestimmte Aneignungstechniken zuzurichten. Das Bild des totalen Menschen bzw. des Übermenschen durchzieht und prägt Lefebvres weiteres Werk. Seine ganzen Analysen und revolutionären Überlegungen dienen letztlich allein der Ermöglichung und Verwirklichung der menschlichen Totalität bzw. der allseitigen Entwicklung der Menschen im Plural(!).

3. Von der »Kritik des Alltagslebens« zum »Recht auf Stadt«

1946 verfasste Lefebvre den ersten Band seiner »Kritik des Alltagslebens« und untersucht in der Gesellschaft industrialisierter Alltagspraxis die Unterdrückung von Bedürfnissen und stellt sie als alltägliche Entfremdung heraus:

„Das menschliche Wesen – das aufhört, menschlich zu sein – wird ein Instrument im Dienst von Instrumenten (den Produktionsmitteln), einer Sache im Dienst einer Sache (des Geldes) und Objekt einer Klasse, Gebrauchsgegenstand für Individuen, die selbst ihrer Wirklichkeit und Wahrheit »beraubt« sind (die Kapitalisten). Und seine Arbeit, die ihn zum Menschen machen sollte, wird, statt ein grundlegendes und menschliches Bedürfnis zu sein, nur unter Zwang verrichtet, weil sie selbst nur ein Mittel ist (»seinen Lebensunterhalt zu verdienen«), statt einen Teil des sich frei betätigenden menschlichen Wesens zu bilden. […] die eigene Tat des Menschen wird »ihm zu einer fremden gegenüberstehenden Macht«, die ihn unterjocht, statt dass er sie beherrscht.“ (Lefebvre 1987, 170)

Bereits hier stellt Lefebvre schon den funktionalistischen Städtebau der industrialisierten Moderne in den Mittelpunkt seiner Analysen, durch den die bürgerliche Lebensweise ökonomistischer Funktionalität wortwörtlich zementiert und mit der gebauten Stadt als gebaute Entität bestehender sozialer Verhältnisse in die Zukunft fortgeschrieben wird. Mit Harvey lässt sich hieran anschließend von der „Urbanisierung des Kapitals“ (Harvey 2014, 126) sprechen. „Aber zugleich“, so stellt Lefebvre ebenfalls heraus, „zeigen unsere Städte […] noch etwas anderes:

„[…] die Wiederherstellung der Gemeinschaft in den Fabriken und Arbeiterquartieren. Hier herrscht ein anderer Stil des täglichen Lebens, andere Bedürfnisse; neue Sorgen treten in Konflikt mit den Bedingungen des täglichen Lebens, die durch die kapitalistische Struktur der Gesellschaft und des Lebens aufgezwungen werden; sie haben die Tendenz, eine Solidarität, eine wirksame Verbindung zwischen den Individuen und den Gruppen, zu bewirken. Wie manifestiert sich dieser Konflikt? Wie drückt sich diese immer zerschlagene, immer wieder auflebende Solidarität aus? Wie setzt sie sich konkret um? Genau das muss die Kritik des Alltagslebens in ihren positiven Aspekten herausfinden und beschreiben.“ (Lefebvre 1987, 234 f.)

Es geht Lefebvre also nicht bloß um die Analyse von Machtdiskursen und Herrschaftstechniken – und hierin geht er über die Analysen von Foucault und Bourdieu hinaus –, sondern vor allem auch um die Analyse der – wie es mit Fraser treffend formuliert werden kann – »widerspenstigen Praktiken« (Fraser 1994), mit denen sich die Leute in diesen Verhältnissen dennoch als autonome Wesen zu behaupten versuchen und ihr „entmenschte[s] Leben“ (wieder) als menschliches Gemeinwesen zu gestalten (Marx 1981a, 408; vgl. auch Marx 1981b, 370). D. h. wie sie versuchen sich trotz allem Beherrschtwerden als allseitige Wesen hervorzubringen und sich von den sie einander entfremdeten Lebensbedingungen zu befreien versuchen.

Die »Kritik des Alltagslebens« ist daher eine „konkrete, dynamische Philosophie, die sich der Praxis, der Aktion wie der Erkenntnis verpflichtet weiß – also um das Bemühen, alle Schranken des Lebens und Denkens »aufzuheben«, ein »Ganzes« zu organisieren und die Idee des totalen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen“ (Lefebvre 1987, 181). Und der Marxismus ist hierfür das methodologische Instrumentarium der „kritische[n] Erkenntnis des Alltagslebens“ (Lefebvre 1987, 153), das Lefebvre 1948 in seinem Buch »Der Marxismus« systematisch ausarbeitet (Lefebvre 1975a). Hier stellt er den Marxismus als „eine wissenschaftliche Soziologie mit politischen Konsequenzen“ (Lefebvre 1975a, 17) dar und räumt mit einigen der zeitgenössischen Fehlinterpretationen der Marx‘schen Schriften auf – sowohl was die Methodologie als auch was die Konsequenzen angeht, die er dann 1958 als »Probleme des Marxismus, heute« verdichtet vorlegt und die ihn letztlich die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei Frankreichs kosten. Wenn er schreibt, dass das „marxistische Denken […] sich davor hüten [muss], gleitend von einer Sphäre zur anderen […] überzugehen: vom Philosophischen zum Politischen und umgekehrt; vom Philosophischen zu den Einzelwissenschaften und umgekehrt“ und beide Sphären zu einem marxistischen Systems zu vereinen (Lefebvre 1971b, 125), dann trifft er den Marxismus seiner Zeit ins Mark. Statt zu einem System zu erstarren, muss sich der Marxismus an seinen inneren Widersprüchen entwickeln können – was die Marxisten der kommunistischen Partei(en) seiner Zeit (nicht nur der Frankreichs) verkannten.

1962 veröffentlichte Lefebvre unter dem Titel »Einführung in die Modernität« verschiedene Aufsätze. Hier beginnt er, sich mit dem Thema Stadt intensiver auseinanderzusetzen; wohl nicht zu Letzt, weil der die „Wiederherstellung der Gemeinschaft in den Fabriken und Arbeiterquartieren“ (Lefebvre 1987, 234 f.), von der er 1946 noch gesprochen hatte, durch den funktionalistischen Städtebau der Nachkriegszeit bedroht sah. Er sah, dass die für die allseitige Individualisierung der Menschen notwendige Wiederherstellung der Gemeinschaft durch den Baustil der wiederaufgebauten und neugebauten Städte in der Nachkriegszeit unterminiert wird und sich durch ihn nahezu angleichen mussten. Er schreibt:

„Man stellt uns vor eine »Welt« aus Fragmenten, zerstückelt in tausend kleine »Welten«. Zur gleichen Zeit ist diese Dislokation – die bis an die Grundlagen der Praxis, bis an die Fundamente des Bewusstseins, bis an die Wurzeln des Handelns reicht – von einer immer bündigeren Integration begleitet. Auf diesem weiträumigen Feld der Bruchstücke erhebt sich der Staat als Wächter. […] Die Tendenz zur Totalisierung und zur »Integration« (in das gesellschaftliche Ensemble, d. h. den Staat) kaschiert die Separationen. Die Zersplitterung der Alltäglichkeit, umfassender noch als die der Arbeit, verschleiert die Unifizierung von oben und die Unterdrückung der ursprünglichen Differenzen.“ (Lefebvre 1978, 146)

Der Lebensraum der industriellen Städte, den die Chicago Schule noch als natürlichen Lebensraum (Habitat) auffassten (Park et al. 1967 [1925]), zwängt, so Lefebvres Kritik, die alltäglichen Zusammenhänge der Menschen in eine zerstückelte Funktionswelt. Le Corbusier, der philosophische Ahnherr dieses Städtebaus, beschrieb bereits 1925 Städte als „biologische Phänomene“, die „Herz und bestimmte Organe [haben], die für ihr Leben unerlässlich sind“ (Pehnt 2015). Die Organe des städtischen Lebens – Wohnen, Büros, Industrie, Freizeit – sind räumlich sauber voneinander getrennt angeordnet und werden über Infrastrukturen wie Straßen und Straßenbahnlinien funktional wieder zusammengebracht (Russo 2016, 300). „Diese Aufgliederung“, so Pehnt, „bestimmte jahrzehntelag das Denken modernistischer Planer“ und zeitigte „verhängnisvolle Folgen“: „Sie isolierte menschliche Tätigkeiten, verhinderte Kontakte und nachbarschaftliches Miteinander, erschwerte Mischung und soziale Kommunikation […]. Straße und Plätze verloren ihre Bedeutung als soziale Räume“ (Pehnt 2015). Entsprechend entwickelte sich der öffentliche Raum vom Aufenthaltsraum und Wohnraum zum Raum, den es bloß zu durchqueren gilt. Folglich kam dem den Transportsystem enorme Bedeutung zu, da dies „für das Leben in der Stadt [sorgt]“ (Russo 2016, 300). Menschen haben in diesem funktionalistischen Stadtorganismus, für den Le Corbusier das Wort »Wohnmaschine« prägt, lediglich die Funktion, die ihnen zur Verfügung gestellten Infrastrukturen des öffentlichen Verkehrsnetzes zu nutzen und den Raum zu durchqueren. Entsprechend stehen im Zentrum seiner Stadtplanung die Autobahnkreuzung und der Hauptbahnhof als „Symbol[e] des Austausches, des Austausches von Informationen, Talenten, Freuden“ (Russo 2016, 300). Damit prägte Le Corbusier die Auffassung von Stadt noch bis in die 1980er Jahre hinein. Frederic Vester spricht von einem „überfordertem Organismus“, der durch die funktionale Aufspaltung der Städte entstanden ist und zu „immer längeren Wegstrecken führte“ und damit „zu dem heute gewaltigen Verkehrsbedarf, der sich ständig selbst multipliziert“ (Vester 1986, 117).

In diesem Funktionalismus der »Wohnmaschinen« sieht Lefebvre sich die Menschen mimetisch angleichen. Sie haben die gleichen Wege, kaufen in den gleichen Einkaufzentren ein, suchen im selben Bürgerzentrum denselben Rat und vergnügen sich in denselben Freizeitzentren (Lefebvre 1978, 143). Und er sieht, dass sie alles daransetzen werden, sich in dieser Gleichheit zu unterscheiden (Lefebvre 1978, 149). Sie werden jede Nische nutzen, um sich der funktionalen Vergesellschaftung zu entziehen und allseitig individualisieren zu können (Lefebvre 1978, 150). Aber er sieht vor allem, dass dieser Städtebau nicht zufällig vom Himmel fällt, sondern das Resultat einer bereits gelebten gesellschaftlichen Alltagspraxis ist. Die Menschen lebten in den Städten bereits so selbstverständlich industriell durchfunktionalisiert und ihre Lebenszusammenhänge sind bereits so selbstverständlich in die Bereiche Arbeit, Freizeit und Privatleben fragmentiert, dass der funktionale Städtebau als notwendige Entsprechung, der das fragmentierte Leben wieder zu einer Einheit zusammenfügt, folgen musste.

Die Fragmentierung des Alltagslebens hatte Lefebvre schon 1946 im ersten Band der »Kritik des Alltagslebens« herausgearbeitet. Bereits 1961, ein Jahr vor seiner »Einführung in die Modernität«, folgte der zweite. Die »Kritik des Alltagslebens«, so stellt er hier heraus, ist nicht nur ein Instrument der Erkenntnis, sondern auch der poietischen Praxis. Wissenschaft ist für ihn nicht nur das Ermitteln dessen was ist, sondern vor allem ein Ermitteln dessen was möglich ist und wie es verwirklicht werden kann. Wissenschaft ist ihm das Ermitteln von allem, was gebraucht wird und notwendig ist zu tun, um vom hier und jetzt zur Verwirklichung des objektiv Möglichen zu gelangen. An dieser Stelle geben sich Lefebvre und Bloch die Hand (allerdings ohne sich gegenseitig zu rezipieren). Für Bloch (Bloch 2013; 2000) wie für Lefebvre, wie er kurze Zeit später in »Metaphilosophie« weiter ausführen wird, ist die je gegenwärtige Wirklichkeit nichts anderes als Mögliches, das verwirklicht werden konnte. Zur Wirklichkeit gehören entsprechend auch alle Möglichkeiten, die noch nicht verwirklicht worden sind. Etwa weil die Mittel noch fehlen und/oder, weil sie durch die gesellschaftliche Alltagspraxis herrschaftlich verhindert und blockiert werden. Dann schlummern sie, um mit Bloch zu sprechen, als unabgegoltene »Tendenz-Latenz-Utopie« in der Praxis (Bloch 1978). Auf diese latenten Tendenzen der Praxis kommt es auch Lefebvre an. Sie müssen entdeckt und bei ihrer Verwirklichung geholfen werden.

In seiner »Einführung in die Modernität« (1962) spricht Lefebvre dann von einer „mondiale[n] Mäeutik“, von der Geburtshilfe einer „Zukunft, die die Gesellschaft in sich trägt“ (Lefebvre 1978, 23). „Die Mäeutik der Modernität“, so schreibt er weiter, „geht nicht ohne einen gewissen Utopismus“ (Lefebvre 1978, 57). Utopismus meint hier aber nicht das Erträumen von Luftschlössern und bis ins Detail ausgemalte Zukunftsszenarien. Lefebvre meint damit stattdessen ganz im Sinne Blochs Begriff der »Tendenz-Latenz-Utopie« (Bloch 1978), unabgegoltene Tendenzen der Praxis. Diese haben sich, wie Marx bereits darlegt, auf Grund ihrer Marginalisierung allerdings nur als Andeutungen von Bedeutungen entwickeln können (Marx 1961, 636) und sind daher zwar empirisch ermittelbar, können aber der Wirklichkeit eben nicht einfach abgelesen werden, sondern müssen auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene mäeutisch erarbeitet werden.

Das wissenschaftliche Instrument dieser Mäeutik, zu der auch das Ermitteln der notwendigen Schritte vom Hier zum Dort gehört, arbeitet er bereits ein Jahr zuvor im zweiten Band der »Kritik des Alltagslebens« aus und benennt es hier als „strategische Hypothese“: „Sie beginnt beim entferntesten Möglichen, kehrt vom fernen Möglichen zurück zum nahen Wirklichen und versucht, die Kraftlinien und Tendenzen des Wirklichen bis zu jenem äußersten Möglichen zu verlängern.“ (Lefebvre 1987, 372) Die strategische Hypothese „hält den Kontakt mit den Tatsachen, sie entdeckt neue Tatsachen, sie ordnet sie ohne zwanghafte Systematisierung, sie ist verifizierbar. Ihre Verifizierung geschieht in der Praxis“ (Lefebvre 1987, 372). Den Weg vom Hier zum Dort entlang der strategischen Hypothese nennt er Transduktion, die „vom Wirklichen (Gegebenen) zum Möglichen voran[schreitet]“; d. h., sie „schreite[t] vom Gegenwärtigen zum Virtuellen, vom gegebenen zum Möglichen voran, in einer unaufhörlichen Erkundungstätigkeit“ (Lefebvre 1987, 373 f.).

Mit anderen Worten: es wird mit der Erarbeitung einer Problemformulierung durch die betroffenen Gruppen begonnen, der/die Forschende lässt sie Vorschläge machen, was ihnen als Problemlösungsstrategien möglich wäre, erarbeitet mit ihnen gemeinsam Bilder, Utopien, Begriffe (das geht bei Lefebvre ineinander über) an denen sich die Praxis strategisch orientieren kann, sucht nach gesellschaftlichen und strukturellen Blockaden und zugleich nach politischen Wegen, diese entlang der Bilder und Utopien auszuräumen. Probleme werden als Probleme verstanden, die Menschen und Gruppen haben, ihr Leben mit den ihnen nur zuhandenen biografischen und politischen Mitteln zu betreiben und darin versuchen, ihre subjektiven Vermögen und Fähigkeiten allseitig auszubilden und zu entwickeln, ohne dabei auf ein bestimmtes So-Sein festgestellt sein zu müssen. Lefebvre geht es nicht darum, Probleme für Menschen oder Gruppen zu lösen, sondern mit ihnen die benötigten Mittel zu erarbeiten, damit sie ihre Probleme selbst lösen und ihr Leben subjektorientiert selbst ausgestalten können. Eben darin erweist sich Lefebvres Wissenschaftsbegriff als transdisziplinärer, dem es darum geht, mit den Problembetroffenen politische Machtmittel zu erarbeiten, so dass sie sich in der Auseinandersetzung mit anderen Leuten und Gruppen und ihren Interessen gegenseitig bilden, d. h. sich zu allseitigen Individuen und »totalen Menschen« emanzipieren resp. herausbilden können.

1965 veröffentlicht Lefebvre »Metaphilosophie«, in der er eine Inventur der Philosophie unternimmt und wichtige Begriffe wie Totalität, Entfremdung, Subjekt, Mimesis und Poiesis zu retten versucht, indem er sie praxisphilosophisch wendet und mit seiner »Kritik des Alltagslebens« zusammenbringt. Hier entwickelt er seine kritischen Überlegungen zur Stadt und zum Städtebau weiter. So wie die Menschen leben, so denken sie. Und so wie die Menschen denken, so planen und realisieren sie ihre Städte und mit ihnen sich selbst als Individuen. Die Stadt wird den Menschen entlang ihrer Techniken der Urbanisierung zur zweiten Natur (Lefebvre 1975b, 268), ist ihr Werk, das der Entwicklung ihrer subjektiven Vermögen und Fähigkeiten förderlich oder hinderlich ist. Lefebvre kommt es darauf an, dass die Stadt, besser gesagt: die Möglichkeiten des urbanen Zusammenlebens, den Leuten hilft, ihr Leben emanzipatorisch bearbeiten und erarbeiten zu können. Sie sollen ihr Leben zu ihrem Leben, zu ihrer Alltagspraxis machen können. Sie sollen sich und ihre Alltagspraxis als ihr Werk hervorbringen können. Entsprechend braucht es eine Stadt als Werkstatt, mit der das eigene Leben durch die Entwicklung ihrer subjektiven Fähigkeiten als individuelles Werk gestaltet werden kann. Sein Leben als Werk entlang von individuellen Wünschen und Bedürfnissen hervorzubringen und sich zu verwirklichen, meint ein und dasselbe (wie es aus dem Wort selbst ja schon hervorgeht). „Der Mensch ist gehalten“, so Lefebvre, „sich seine Wohnstätte selbst zu schaffen. Nicht, wie Heidegger meinte, die Wohnung des Seins in der Sprache, sondern die Wohnung des Menschen als »menschliches Sein«, erbaut in der Praxis und auf der Erde“ (Lefebvre 1975b, 351).

1966 folgt, wenn man so will, eine Kurzfassung von »Metaphilosophie«, wo er den Praxisbegriff bzw. das Verhältnis von Mimesis, Praxis und Poiesis und die Relevanz für eine »Soziologie nach Marx«, nämlich als »Kritik des Alltagslebens«, nochmal komprimiert herausstellt. Die Praxis besteht für Lefebvre aus drei dialektisch verschränkten Ebenen: „die Ebene der Wiederholung, die der Erneuerung [Poiesis, MS] und zwischen diesen beiden die mimetische Ebene“ (Lefebvre 1972b, 46). Praxis hat also immer zwei Seiten, eine nachahmende bzw. wiederholende und eine kreative, schöpferische. Und sie folgt immer Bildern (Utopien) und Modellen, die in und als alltägliche Praxis nachgeahmt werden. Zur Frage steht wessen Bilder und wessen darin ausgedrückte bzw. repräsentierte Interessen sich wie und womit durchsetzen und wessen wie und womit marginalisiert und zum Schweigen gebracht werden.

Lefebvre geht es dabei einerseits um die konkreten Machtkämpfe zur Etablierung bestimmter und für allgemeingültig erklärter Repräsentationen (Bilder), andererseits aber auch um die Auswirkungen dieser auf die objektiven Möglichkeiten der Herausbildung menschlicher Verwirklichung. Eine Alltagspraxis, die programmatisch entlang der industriellen Produktionsweise und funktionalen Arbeitsteilung ausgerichtet ist, reduziert die Interaktionen der Leute darauf, in verschiedenen Variationen immer wieder die gleichen Tätigkeiten zu verrichten. Aber den Menschen als stetig werdende Natursubjekte, als die Lefebvre sie in Anlehnung an Marx schon in »Der dialektische Materialismus« herausgestellt hat, wird unter gesellschaftlichen Bedingungen, die ihm abverlangen, in Abwandlungen immer das Gleiche zu machen bzw. machen zu müssen, die Entwicklung ihres Werdens unterdrückt. Zwar wird menschliche Entwicklung in der industrialisierten Gesellschaft ins Privatleben verlagert und zugleich mit einer protestantischen Emanzipationsverheißung verknüpft, sich durch harte Arbeit die Möglichkeiten des Privatlebens, mit denen sich frei entwickelt werden kann, erarbeiten zu können. Doch auch das Privatleben kann dabei nur den städtischen Strukturen folgen, die auf das Wiederholen statt auf Poiesis fokussiert sind. Etwa das Wiederholen von Vergangenheit, d. h. der Wiederaufbau der historischen Mitten, der gegenwärtig in zahlreichen europäischen Städten erfolgt. Oder das Wiederholen von bereits getroffenen Beschlüssen, Masterplänen und Konzeptionen in die Gegenwart: Alles, was auf Schrift fußt, ist auf das Wiederholen ausgerichtet. Es müsste sonst nicht schriftlich festgehalten werden.

In »Das Alltagsleben in der modernen Welt« schreibt er 1968 diesbezüglich:

„Keine Gesellschaft ohne Schreiben. […] Keine Institution ohne Geschriebenes. Die geschriebene Sache fügt sich als erste Institutionalisierung in die gesellschaftliche Praxis ein, um das Werk und die Tätigkeit durch Organisation einzufangen. […] Eine auf den Schriften und der geschriebenen Sache gegründete Gesellschaft tendiert zum Terrorismus“, denn sie gründet sich auf Vorschriften. „Sie trachtet danach, die Details des praktischen Lebens vorzuschreiben“, was „im Laufe der Zeit sehr minuziös werden [kann].“ (Lefebvre 1972a, 212 ff.)

Und eine Stadt, so Lefebvre weiter, das ist nichts anderes als eine „Schrift auf den Boden“ (Lefebvre 1972a, 211), d. h. auf den Boden geschriebene Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Nämlich der verinnerlichten der StadtplanerInnen und UrbanistInnen, ArchitektInnen und TechnokratInnen, InvestorInnen und BauherrInnen. Sie schreiben entlang der geschriebenen Sache der Stadtplanung (Verordnungen, Richtlinien und Gesetze) die dort festgeschriebenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse auf den Boden und zementieren diese damit im wortwörtlichen Sinne. In einem späteren Aufsatz zu »Raum und Politik« von 1972 [1] bezeichnet Lefebvre Architektur als:

„eine Repräsentationsart, ein festgelegtes kodifiziertes Können. Also ein Filter, selektiv gegenüber Inhalten, diesen oder jenen Teil der »Wirklichkeit« beseitigend, die Lücken des Textes auf seine Art füllend. Erschwerend kommt hinzu: Diese Filterung geht weiter als eine ideologische Spezialisierung oder die Ideologie eines Spezialgebiets. Sie droht die gesellschaftliche Nachfrage zu verbergen.“ (Lefebvre 2016, 210)

Kurz: Eine Stadt ist eine auf den Boden geschriebene Vorstellung von Raum und Zeit, die immer schon gesellschaftlich vermittelt ist und damit immer auch deren Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert (wiederholt).

1968 erscheint neben »Das Alltagsleben in der modernen Welt« auch »Das Recht auf Stadt«. „Das Recht auf Stadt“, so schreibt Lefebvre dort, „offenbart sich als höhere Rechtsform: das Recht auf Freiheit, auf Individualisierung in der Vergesellschaftung, auf das Wohngebiet und das Wohnen. Das Recht auf das Werk (auf mitwirkende Tätigkeit) und das Recht auf Aneignung (klar zu unterscheiden vom Recht auf Eigentum) bringen sich in dieses Recht auf Stadt ein“ (Lefebvre 2016, 189). Das Recht auf Stadt ist für Lefebvre weder ein einklagbares juristisches Recht, noch ein Naturrecht. Er lässt es im Ungefähren, dennoch „legitimiert [es] die Weigerung, sich durch eine diskriminierende, segregierende Organisation aus der städtischen Wirklichkeit verdrängen zu lassen“ (Lefebvre 2016, 216). Es bedeutet, wie er in seinem späteren Aufsatz zu »Raum und Politik« von 1972 weiter schreibt, „die Herstellung oder Wiederherstellung einer räumlich-zeitlichen Einheit, einer Sammlung statt Fragmentierung“, das die „Kenntnis einer Produktion, jener des Raums“ voraussetzt und anwendet (Lefebvre 2016, 216 f.).

Vor allem aber unterbreitet Lefebvre in »Das Recht auf Stadt« Vorschläge, wie eine Wissenschaft der Stadt aussehen muss, um die anthropologische Philosophie des dialektischen Materialismus in ihr aufgehen und ihr dienlich sein zu lassen. Hier greift er erneut auf die 1961 im zweiten Band der »Kritik des Alltagslebens« entwickelten Begriff der Transduktion zurück:

„Die Transduktion erarbeitet und konstruiert einen theoretischen Gegenstand, einen möglichen Gegenstand, und zwar ausgehend von Informationen über die Wirklichkeit sowie eine Problematik, die durch diese Wirklichkeit aufgeworfen ist. Die Transduktion setzt ein unaufhörliches Feedback zwischen dem verwendeten begrifflichen Rahmen und den empirischen Beobachtungen voraus. Ihre Theorie (Methodologie) bringt einige spontane gedankliche Arbeitsgänge des Urbanisten, des Architekten, des Soziologen, des Politikers, des Philosophen in Form. Sie bringt Strenge in den Einfall und Erkenntnis in die Utopie.“ (Lefebvre 2016, 154 f.)

Beim »Recht auf Stadt« handelt es sich entsprechend um eine „experimentelle Utopie“, „indem ihre Auswirkungen und Folgen vor Ort untersucht werden“ (Lefebvre 2016, 155). Sie liefert den politischen Programmen „eine theoretische und kritische Grundlage zur Stadtreform“ (Lefebvre 2016, 163). Die transduktiven „urbanistische[n] Projekte“ sollen eine empirisch gestützte „Phantasiewelt“ eröffnen, „die sich für Aneignung (von Zeit, von Raum, von physiologischem Leben, von Begehren) einsetzt (Lefebvre 2016, 161). Bei dieser „Phantasiewelt“ handelt es sich um hypothetische „Vorschläge“ im Bereich des objektiv Möglichen, die „den Lebensstil, die Lebensweise in der Stadt, die Entwicklung des Urbanen […] betreffen“ (Lefebvre 2016, 161). Es handelt sich dabei um das, was er in »Kritik des Alltagslebens« (Bd. 2) als virtuelles Objekt bzw. Bilder und Utopien bezeichnet hat (Lefebvre 1987, 372 ff.). Mit dem »Recht auf Stadt«, d. h. dem „Recht auf das städtische Leben“ (Lefebvre 2016, 166), fordert Lefebvre das Recht, Lebensentwürfe frei zu wählen und mit den Mitteln der Stadt ausgestalten und verwirklichen zu können. Die Stadt soll das seit der griechischen Antike uneingelöste urbane Versprechen auf „die vollentfaltete Individualität in der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher Individualitäten“ und „das freie Individuum in der freien Gesellschaft“ (Lefebvre 1971a, 134) endlich einlösen können.

4. »Das Recht auf Stadt« als strategische Hypothese der »Revolution des Urbanen«

1970 differenziert Lefebvre in »Die Revolution der Städte« – gemäß des franz. Titels: »Die Revolution des Urbanen«, was den Inhalt weit besser beschreibt – das »Recht auf Stadt« weiter aus. Nämlich, wie Ronneberger im Vorwort der Ausgabe von 2014 zusammenfasst, als – erstens – das „Recht auf Differenz“ (Ronneberger 2014, XIII f.), d. h. das Recht auf Anerkennung von Individualität und dem, zu dem sich ein Mensch noch entlang seiner subjektiven Vermögen und Fähigkeiten individuell entwickeln kann. Dieses Recht auf Differenz, setzt – zweitens – ein politisches Gemeinwesen voraus, das dieses Recht zum Zentrum des Politischen („Recht auf Zentralität“) erhebt (Ronneberger 2014, XIII f.). Dieser politischen Zentralität der menschlichen Bedürfnisse, Vermögen und Fähigkeiten muss aber auch in der physischen Stadt ein zentraler Ort eingeräumt werden, an und mit dem die BewohnerInnen der monologischen Bedürfnisdefinition der staatlichen Institutionen öffentlich eine dialogische „Politik der Bedürfnisinterpretation“ (Fraser 1994, 237 ff.) entgegensetzen können, was Lefebvre – drittens – als „Recht auf die Straße“ bezeichnet (Lefebvre 2014, 160). D. h. als Recht auf Öffentlichkeit und öffentliche Räume des politischen Dialogs. Ein solches Gemeinwesen soll sich entlang der Bedürfnisse und Wünsche der BürgerInnen organisieren und entwickeln können. Ziel und Zweck dieses politischen Gemeinwesens ist die Ermöglichung menschlicher Entwicklung entlang der tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche, unterstützt durch die wissenschaftliche Methodologie der im zweiten Band der »Kritik des Alltagslebens« entwickelten strategischen Hypothese.

In »Revolution der Städte« verschiebt sich hierfür zugleich der Fokus seiner Analyse von der urbanen Praxis zur Praxis der Urbanisierung und dessen wechselseitigen Verhältnis. Nicht mehr steht die Stadt im Zentrum seiner Überlegungen, sondern die Verstädterung, d. h. die Urbanisierung als gesellschaftshistorischer Prozess. Mehr noch: die ganze Menschheitsgeschichte ist für Lefebvre Urbanisierung (Lefebvre 2014, 13). Urbanisierung ist ihm, wenn man so will, die historische Professionalisierung des Nestbaus, bei der es dann seit der griechischen Antike um die Frage geht, wie sich die Leute als politische Stadt urbanisieren können. Hierfür entwickelt Lefebvre seine in »Metaphilosophie« in kritischer Auseinandersetzung mit Nietzsche und Heidegger entwickelten Begriff des Wohnens weiter und setzt dem Habitat-Begriff der Chicago-Schule (Park et al. 1967 [1925]), den er schon seit der »Einführung in die Modernität« kritisiert, einen metaphilosophischen Begriff des Wohnens – habiter [2] – entgegen. Wohnen, das heißt in diesem metaphilosophischen Sinne Lefebvres – ganz im Anschluss an seine frühen Überlegungen von 1939 und 1946 – sein eigenes Leben mit dem gesellschaftlichen Alltag als Werk hervorbringen zu können. Lefebvre geht es nun darum, diesen metaphilosophischen Begriff des Wohnens (habiter) zu begründen und zum Primus der Urbanisierung zu erheben, da der Städtebau seit der Industrialisierung und insbesondere der Nachkriegszeit gerade die Lebendigkeit des städtischen Lebens verhindert, indem er den Alltag der Leute auf „Essen, Schlafen, Zeugen“ reduziert und sie in „Schachteln, Käfigen oder »Wohnmaschinen« einschließt“ (Lefebvre 2014, 89).

Zugleich geht es Lefebvre hier aber nicht nur um die Entwicklung der Menschen, sondern um ihre Entwicklung auf und mit der Erde. „Das Problem der Verstädterung […] hat […] die ganze Erde erfasst“ (Lefebvre 2014, 158) und bringt sie nicht nur als Ressource für die die Belange des Städtebaus hervor, sondern auch als Ressource für die Belange der durch privatwirtschaftliche Eigentumsverhältnisse abgenötigten konsumistischen urbanen Lebensweisen. Lefebvre lenkte damit den Fokus gesellschaftskritischer Theoriebildung wieder auf die von Marx eingebrachte und dann in der Soziologie wieder vernachlässigten Komponente einer „Kritik der Erde“ [3] (Marx 1981d, 379). Um die kapitalistisch organisierte und entlang der Sachzwänge zur Kapital(re)produktion zwingend entstehende Ausbeutung menschlicher wie nicht-menschlicher Naturverhältnisse zu beenden, braucht es eine Revolution(ierung) der urbanen Lebensweisen und ihrer sie bedingenden Gesellschaftsstrukturen, mithin der gesamten Urbanisierungspraxis. Es geht Lefebvre, auch wenn er zum Ende des Buches diesbezüglich noch offen bleibt, um mehr als nur um Umweltschutz, da ihm völlig unklar bleibt, was unter dem „Pseudo-Begriff der Umwelt […] zu verstehen [ist]“ (Lefebvre 2014, 196).

1973 in »Die Zukunft des Kapitalismus« (gemäß des franz. Originaltitels »Das Überleben des Kapitalismus«) knüpft Lefebvre hieran an und verdichtet seine bisherigen Überlegungen zur Produktion des Raums mit einer ökologischen Zuspitzung:

„Es ist nicht nur die gesamte Gesellschaft, die zum Ort der Reproduktion (der Produktionsmittel und nicht mehr nur der Produktionsmittel) wird, sondern auch der gesamte Raum. Vereinnahmt vom Neokapitalismus, sektorisiert, zu einem homogenen und dennoch fragmentierten und zerstückelten Milieu reduziert (nur in winzigen Stückchen wird der Raum an die »Kundschaft« verkauft, wird der Raum zum Sitz der Macht. Die Produktivkräfte erlauben denen, die über sie verfügen, die Herrschaft über den Raum und sogar die Produktion des Raums. Diese Macht zur Produktion des Raumes erfasst die ganze Erde und reicht sogar darüber hinaus. […] Während einerseits das Wachstum der Produktivkräfte die Natur zerstört und den materiellen Raum umformt, führt andererseits das Privateigentum (am Boden, also am natürlichen Raum) die Produktivkräfte zurück in den Rahmen früherer, überholter Epochen der landwirtschaftlichen Produktion und der ländlichen Natur.“ (Lefebvre 1974, 100)

Und weiter:

„Was man als Umwelt und Umweltverschmutzung nennt, ist nur ideologische Verschleierung; vor allem der Begriff »Umwelt« hat keinerlei präzise Bedeutung; er meint alles und nichts, die ganze Natur ebenso wie die städtischen Randgebiete. Die Vergiftung, die Umweltkrise ist nur ein Symptom viel tiefreichender Probleme, zu denen die Entfesselung einer unkontrollierten Technologie gehört […].“ (Lefebvre 1974, 125 f.)

Was sich als damals schon – in der Zeit der Erstveröffentlichung des Berichts des Club of Rome »Die Grenzen des Wachstums« von 1972 (Meadows et al. 1987) – als unsere heutige Öko- und Klimakrise ankündigt – und damit ist die ganze Aktualität Lefebvres für unsere heutigen Öko- und Klimaprobleme auf den Punkt gebracht –, „ist eine Krise der Reproduktion der Produktionsverhältnisse“, bei der „das Versagen der Zentren und der Zentralität“ der Städte „im Vordergrund steht“ (Lefebvre 1974, 140). Gerade dieses epochale Versagen macht ein »Recht auf Stadt« zur Wiederherstellung der politischen Handlungsfähigkeit durch eine „Umorientierung des Wachstums von den individuellen Bedürfnissen auf die spezifisch gesellschaftlichen Bedürfnissen“ notwendig, die „eine allmählich fortschreitende Begrenzung des Wachstums einschließ[t] und so wohl [sic!] die brutale Unterbrechung des Wachstums als auch seine grenzenlose Fortsetzung vermeide[t]“ (Lefebvre 1974, 143 f.).

Vor dem Hintergrund, dass diese „spezifisch gesellschaftliche[n] Bedürfnisse“ „in zunehmenden Maße spezifisch städtische Bedürfnisse sind und mit der Produktion des Raumes wie mit der Verwaltung des Raumes zusammenhängen“, muss ein „vollständiges und detailliertes Projekt für eine Organisation des Lebens und des Raumes […] der Selbstverwaltung den größtmöglichen Raum geben“ (Lefebvre 1974, 144). Selbstverwaltung [4] bedeutet für Lefebvre die „Vergesellschaftlichung der Produktionsmittel“ (Lefebvre 1974, 163) und ist für ihn „auf alle die aus[zu]dehnen, die die Einrichtungen der städtischen Wirklichkeit »benutzen«, und auf diese ganze Wirklichkeit, gesehen in ihrem Doppelaspekt der Produktion und des Konsums, des Tauschs und Gebrauchs“ (Lefebvre 1974, 177). Politische Mitbestimmung hat für Lefebvre nur dann eine revolutionierende gesellschaftliche Reichweite, wenn sie konsequent als kollaborative Governance kommunaler Selbstverwaltung verstanden wird. „Ohne Selbstverwaltung hat Mitbestimmung keinen Sinn, sie bleibt manipulierbar und wird zur Ideologie“ (Lefebvre 1974, 163), die „nur die Verwaltung im Auge behält und Kritik und Opposition von vornherein auf den gewohnten Rahmen beschränkt, statt diesen Rahmen selber zu bekämpfen“ (Lefebvre 1974, 164).

Die hier zum Ausdruck kommende Ideologiekritik, d. h. die Kritik an den heute allgegenwärtig anzutreffenden deliberativen Ansätzen kommunikativer Stadtplanung und Stadtentwicklung, die Lefebvre schon vor knapp 50 Jahren zur impotenten Ideologie verkommen sieht, führt er in seinem zwischen 1976 und 1978 erschienenen und bislang weder ins Englische noch ins Deutsche übersetzte – und daher bislang kaum erschlossene – vierbändigen Hauptwerk »De L’État« (zum Überblick: Wex 2001; Müller-Schöll 2001) weiter aus. Hier nimmt er sogleich in weiten Teilen vorweg, was in den letzten Jahren vor allem in poststrukturalistischen Theoriediskursen unter dem Begriff Postpolitik analysiert und kritisiert wird:

„Das Postpolitische lebt also davon, alle in eine konsensuelle pluralistische Ordnung einzubeziehen und/oder diejenigen, die sich außerhalb des Konsenses stellen, radikal auszuschließen. […] Die Produktion neuer kreativer und unternehmerischer Eliten stellt in Wirklichkeit einen der Schlüsselbereiche zur Konstruktion dieses postpolitischen Konsenses dar. Hier nämlich wird ‚Politik im eigentlichen Sinne nach und nach durch eine Sozialadministration der Experten ersetzt‘ (Zizek 2005: 117). Der postpolitische Konsens ist daher radikal reaktionär. Er verhindert es, für künftige städtische Möglichkeiten und Assemblagen abweichende, konfliktträchtig und alternative Entwicklungslinien zu artikulieren.“ (Swyngedouw 2013, 148)

Und weiter:

„Die Postpolitik zielt somit auf die Verwaltung (polizeiliche Kontrolle) sozialer, ökonomischer und anderer Angelegenheiten, die natürlich voll und ganz im Bereich des Möglichen, der bestehenden sozialen Verhältnisse bleiben. […] Die Postpolitik verweigert eine Politisierung im klassischen griechischen Sinne der Verallgemeinerung partikularer Forderungen, die ‚mehr‘ anvisiert als einen bloßen Interessensausgleich.“ (Swyngedouw 2013, 147)

Es ist hierin nun auch der Grund zum Ausdruck gebracht, warum Lefebvre deliberative Partizipationsprozesse als „zum Scheitern verurteilt“ (Lefebvre 1974, 164) sieht, weil sie es strukturell nicht vermögen, den (vermeintlichen) Konsens gesellschaftlicher resp. urbaner Produktionsverhältnisse politisierend in Frage zu stellen. Dieser lässt sich für Lefebvre nur politisieren, wenn „der Inhalt der Selbstverwaltung, ihr gesellschaftlicher und politischer Inhalt entfaltet und zur Strategie gemacht wird“ (Lefebvre 1974, 164). Erst durch die konsequente kommunale Selbstverwaltung, d. h. durch konsequent kollaborative Partizipationsprozesse in der Stadtplanung und Stadtentwicklung lässt sich für Lefebvre der – wie es heute genannt werden kann – postpolitische Konsens politisieren, weil erst dadurch auch denjenigen die gleichberechtigte Mitgestaltung der Urbanisierung eingeräumt wird, die diesen Konsens in Frage stellen und überhaupt erst zum Politikum machen wollen. Erst darin gelangt das »Recht auf Stadt« zu einer »Revolution des Urbanen«, die entlang der »Kritik des Alltagslebens« nicht nur die urbane Praxis, sondern auch die Praxis der Urbanisierung, mithin die Vergesellschaftung menschlicher wie nicht-menschlicher Naturverhältnisse zu revolutionieren vermag.

In der gegenwärtigen akademischen Debatte um Lefebvres »Recht auf Stadt« (zum Überblick v. a. Holm 2018) vernachlässigt David Harvey (2014) in »Rebellische Städte« zwar die Bedeutung von Lefebvres der »Kritik des Alltagslebens« (1987). Durch die Beachtung des inneren Zusammenhangs von »Recht auf Stadt« (2016) und der »Revolution der Städte« (2014) kommt er der sozial-ökologischen [5] Reichweite Lefebvres aber dennoch am nächsten und verweist in seiner Analyse auf die Notwendigkeit eines »libertären Kommunalismus« als Ansatz einer radikalen Politisierung der Urbanisierung, der im Entwurf Murray Bookchins (Bookchin 1992a; 1992b; 2015a;2015b) und Janet Biehls (Biehl 1998) als „bei Weitem durchdachteste radikale Vorschlag“ (Harvey 2014, 156 f.) ausgebreitet vorliegt. Mit Bookchins/Biehls Begriff Sozialer Ökologie lasse sich, so Harvey zusammenfassend, nicht nur Lefebvres implizit bleibender Begriff Sozialer Ökologie ausformulieren, sondern zugleich auch seine Überlegungen zur kommunalen Selbstverwaltung der Städte konkretisieren und damit das »Recht auf Stadt« auf die Ebene global horizontal vernetzter Städtekonföderationen heben. Die tatsächliche theoretische Kompatibilität von Bookchins libertär-kommunalistischen Begriff Sozialer Ökologie und Lefebvres – wie es sich zusammenfassen ließe – Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums ist allerdings eine weitere, an dieser Stelle nur kurz zu skizzierende und nicht umfänglich durchführbare Untersuchung wert.

5. Die »Revolution des Urbanen« als Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums – Versuch einer weiterführenden Zusammenfassung

Lefebvres »Recht auf Stadt« als Forderung einer Revolution(ierung) des urbanen Lebens umfasst eine radikale Kritik kapitalistischer Urbanisierung der Erde, d. h. menschlicher wie nicht-menschlicher Naturverhältnisse, und beinhaltet die Entwicklung einer transformativen Wissenschaft der Stadt. Eine solche transformative Wissenschaft muss für Lefebvre die nicht nur interdisziplinär, sondern auch transdisziplinär arbeiten und es vermögen, die subjektiven Perspektiven der StadtbewohnerInnen als auch verschiedene wissenschaftliche Zugänge zusammenzubringen, um aus verschiedenen Perspektiven und Methodologien zu gemeinsam politisch bearbeitbaren (und durchaus dissensorientierten) Strategien des urbanen Zusammenlebens und der Urbanisierung zu gelangen. Eine solche – wie sie mit Mittelstraß (2005) bezeichnet werden kann – theoretisch-wie praktisch-transdisziplinäre Wissenschaft bezeichnet Lefebvre schon in »Metaphilosophie« in Anlehnung an den Science-Fiction-Roman von Alfred Elton van Vogt »Die Welt der Null-A« (van Vogt 1982) als Nexialismus:

„Nur ein neues Denken, das eine Totalität ins Auge fasst, die sich weder als ökonomisch noch als soziologisch noch als historisch [ergänzend: noch als irgendwie einzeldisziplinär, MS] im üblichen Sinne definiert, dabei aber all diese Ebenen und Elemente des »Wirklichen« voll berücksichtigt, wäre imstande, diese Wissenschaften zu beherrschen. Nur ein solches Denken könnte – ausgehend vom »Wirklichen« der »Fakten« und »Resultate«, vor allem aber von dem, was nicht vorhanden ist, vom Mangel und von den Mängeln, dem Lücken im Wirklichen, den Leerstellen und leeren Stellen, kurzum: ausgehend von der Negativität und radikalen Kritik – die zukünftige (virtuell, mögliche) Totalität bezeichnen. Es wäre nicht unvorstellbar, daß sich die metaphilosophische Meditation im Laufe dieses Übergangs aus taktischen Gründen auf einen neuen Typus stützt: auf den »Nexialisten«, der die Fähigkeit hat, sich in den Knotenpunkt der parzellierten Erkenntnisstränge zu stellen und von dort aus eine Forschung zu programmieren und konkrete Lösungen einzelner Teilprobleme beizusteuern. (Lefebvre 1975b, 342)

Einer/m nexialistischen WissenschaftlerIn kommt die Aufgabe zu, „die Begegnung von Ideen und Techniken, die anscheinend nichts miteinander gemeinsam haben, vorauszuplanen und zu organisieren“ (Lefebvre 1975b, 368 FN 8). Er bzw. sie

„befasst sich nicht mit der Zusammenführung verschiedener Leute, sondern verschiedener Parzellen der Realität, der Erkenntnis und des Handelns. Dazu braucht er keine philosophische Theorie […], sondern er muss sich im Gegenteil befreien von den fiktiven Begegnungen, die Philosophen erdacht und in die Philosophie gelegt haben.“ (Lefebvre 1975b, 368 FN 8)

Insofern muss er/sie die metaphysische Philosophie in die Physis der Praxis übersteigen und eben dadurch Metaphilosophie betreiben, um so die Praxis philosophisch und die Philosophie praktisch hervorbringen zu können (Lefebvre 1975b, 25).

Neben den wissenschaftlichen Konsequenzen beinhaltet das »Recht auf Stadt« vor allem also auch politische. Nämlich die „Einführung der urbanen Problematik in das politische Leben“ (Lefebvre 2014, 159). Das bedarf für Lefebvre der „Ausarbeitung eines Programms, dessen erster Artikel, die allgemeine Selbstbestimmung“, und zwar nicht nur die der einzelnen Menschen, sondern der Stadt als selbstverwaltete Kommune sein muss (Lefebvre 2014, 159 f.). Die Kommunalisierung der Urbanisierung „setzt voraus, dass an der Basis ein kompliziertes Netz von Organisationen geschaffen wird“, das „das klassische Modell der Repräsentation und des Repräsentativen, das Modell der formalen Demokratie“ durch eine „direkte[] Demokratie“ ersetzt, was „mit einer unaufhörlichen, unablässig sich erneuernden […] Organisationskraft“ einhergehen muss (Lefebvre 1974, 165).

Während Lefebvre nur ahnen konnte, dass die „Verwendung von elektronischen Hilfsmitteln (Computer und Rechenmaschinen)“ die Organisation der Kommunikation zur Vernetzung der Basis unterstützen kann (Lefebvre 1974, 165), ist die Verwendung digitaler Medien heute, fast 50 Jahre später, unverzichtbarer Alltag. Die Möglichkeiten der Selbstverwaltung sind damit eigentlich nie so günstig gewesen, um das Projekt der kommunalen Selbstverwaltung zu realisieren. Eigentlich! Denn die Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse war wohl zugleich auch nie so subtil gewesen. Sie erfolgt, so lassen sich Lefebvres Analysen zusammenfassen, erstens durch die Alltäglichkeit ungleich verteilter Zugänge zu den Produktionsmitteln, was eine große Mehrheit der Bevölkerung aufgrund mangelnder Möglichkeiten zur subsistenten Produktivität zum Konsum zwingt. Zweitens durch den Städtebau, der die zeitliche Fragmentierung der Lebenszusammenhänge der Leute durch die industrielle Produktionsweise auch räumlich fragmentiert, was wiederum zum Konsum von Mitteln und Dienstleistungen zwingt, um die Einheit wiederherzustellen. Drittens erfolgt die Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse über bürokratische und diskursive Sanktionspraktiken, die durch postpolitische „Zwangsgewalt“ Homogenität herstellen (Lefebvre 1974, 102).

Bereits in »Das Alltagsleben in der modernen Welt« hat Lefebvre die gegenwärtige Gesellschaft als „bürokratische Gesellschaft des gelenkten Konsums“ (Lefebvre 1972a, 99) herausgestellt. Aber dadurch, dass die „Bürokratie […] die Leute eher [bürokratisiert], als dass sie sie schulmeistert“, bleibt die Gewalt der diskursiven Praktiken zur Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, die die Leute fesselt, latent und kaum lokalisierbar (Lefebvre 1972a, 203; 219). Eine solche Gesellschaft kann sich durchaus verändern, aber nur im Rahmen der Reproduktion der Produktionsverhältnisse. „Jede Bürokratie“, so Lefebvre, „ordnet (sich) ihren Raum an“ (Lefebvre 1972a, 219), produziert ihn und fordert entlang der bürokratischen Urbanisierung „die Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse“ ein, indem sie ihn und das damit sich nur gestalten könnende Alltagsleben programmiert (Lefebvre 1974, 105 f.). Das »Recht auf Stadt« umfasst durch kommunale Selbstverwaltung damit auch das, was, wie bereits erwähnt, Fraser später als „Politik der Bedürfnisinterpretation“ herausgearbeitet hat und die es ermöglichen soll, die „monologische[n], administrative[n] Prozesse“, d. h. das „juristische, administrative und therapeutische Management der Bedürfnisbefriedigung“ durch „dialogische, partizipatorische Prozesse der Bedürfnisinterpretation […] zu ersetzen“ (Fraser 1994, 240).

„Das Urbane“, so schreibt Lefebvre, „ließe sich somit als Ort definieren, an dem Konflikte Ausdruck finden“ (Lefebvre 2014, 186). Erst diese Konflikte ermöglichen eine Bedürfnisinterpretation und dessen Politisierung, d. h. der Politisierung des bislang zum Schweigen Gebrachten entlang und noch nicht Verwirklichten. Also all dem, was bislang noch keinen Raum hatte und daher Utopie bleiben musste und nun nach Verwirklichung ruft. Da städtisches Zusammenleben immer auch einen Kompromiss der eigenen Selbstverwirklichung bedeutet (bedeuten muss), ist Urbanisierung ein endloser Prozess, der sich mit den beteiligten Gruppen und Institutionen entwickelt. Es kommt Lefebvre darauf an, diesen Prozess im Fluss zu halten und nicht entlang der industriellen Produktionsweise des Sozialen durch eine repetitive Mimesis pleonastisch sich im Kreis drehen zu lassen. Selbstverwaltung bedeutet letztlich die „Transformation des Alltagslebens“, die nur über die umbildende Transformation bestehender Institutionen erfolgen kann (Lefebvre 1974, 168).

Auch wenn die diskursiven sowie bürokratischen Praktiken und Kontrollmechanismen der Macht entlang der Raumproduktion tief in die Alltagspraxis und das Bewusstsein der urbanisierten Menschen eingedrungen sind und dadurch die Vorstellungen der Welt nach dem urbanisierten Weltbild der Kapital(re)produktion weiträumig prägen. Die Hoffnung Lefebvres besteht dennoch darin, dass diese Macht stets unzureichend ist und sich stets einen widerständischen Raum übrig lässt. Dieser Raum muss erkannt und selbstverwaltet organisiert werden, um ihn weiterhin der repetitiven Mimesis der verwalteten Welt (Adorno) entziehen zu können. Sich dem programmierten Raum durch Selbstverwaltung zu entziehen und ihn, ausgehend vom selbstverwalteten Raum, zu revolutionieren, d. h. radikal, von Grund auf zu transformieren, gelingt aber nur, wenn es den selbstverwalteten Räumen gelingt, die durch den programmierten Raum in die Körper der AkteurInnen eingeschriebenen Gesellschaftsverhältnisse zu durchdringen und zu den durch die funktionale Alltagspraxis blockierten bzw. zum Schweigen gebrachten Wünschen und Bedürfnissen des Leibes vorzudringen.

Der Leib, die subjektive Physis der Menschen ist für Lefebvre die letzte Bastion des Widerstandes gegen die totale kapitalistische Kolonialisierung der „bürokratische[n] Gesellschaft des gelenkten Konsums“ (Lefebvre 1972a, 99), die nicht nur die innere Natur der Menschen, sondern die ganze Erdnatur als deren Mitwelt ruiniert (Stichwort Kapitalozän [6]). Entsprechend muss der Begriff des Politischen neu verortet werden: Nicht die Menschen müssen an die (Post-)Politik der Staatsräson herangeführt werden, etwa durch deliberative Partizipationsworkshops. Nicht die Sache der (Post-)Politik muss nur zur Sache von StadtbewohnerInnen gemacht werden, sondern die Sache der StadtbewohnerInnen, ihre urbanisierte ökologische Verflechtung von inneren leiblich-menschlichen und äußeren nicht-menschlichen Naturverhältnissen muss als Ausgangspunkt des Politischen begriffen und zur kollaborativen Politik des Urbanen ausgestaltet werden, die es vermag leibliche Bedürfnisse und gesellschaftlichen Belange der Menschen als ökologisch-materialistische Dialektik [7] von Stadt-Mensch-Erde zu erfassen. Selbstverwaltung residualer Räume meint daher deutlich mehr als das Etablieren einer Gegenkultur in einer Parallelwelt. Sie zielt auf die revolutionäre Umwälzung der gesellschaftlichen Raumproduktion und der Raumaneignung durch eine demokratische Infrastrukturpolitik der Produktionsmittel des Urbanen, mithin der urbanisierten Entwicklungsmöglichkeiten von Mensch [8] und Erde. Dies kann allerdings nicht libertär parallel zum Staatsapparat, gar gegen ihn erfolgen, sondern nur mit ihm, genauer: mit den staatlichen Institutionen und ihren je strukturellen Reichweiten, ohne die sozial-ökologische Transformationsprozesse nur auf der Ebene von kleinräumigen Aussteigerprojekten und ohne gesellschaftstransformative Reichweite bleiben müssen, was angesichts der Klimaproblematik von verheerender Bedeutung ist (IPCC 2008; 2019). Insofern ist es eine eigene und weitergehende Untersuchung wert Bookchins libertären Kommunalismus radikal-reformerisch (Hirsch 2007) aufzuheben, um so über den „gesellschaftlichen Erziehungsprozess“ (Lefebvre 1974, 164) der kommunalen Selbstverwaltungen zu einer „wahre[n] ‚öffentliche[n]‘ Erziehung des Staates“ (Marx 1981c, 95) zu gelangen, durch die das Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums verwirklicht werden kann.

Darin ist nun auch der entscheidende Unterschied zur Lesart Lefebvres »Recht auf Stadt« durch den WBGU (WBGU 2016, 154 f.) zu erblicken, der im Namen ebenjenen »Rechts auf Stadt« in sozial-ökologischer Hinsicht zwar eine kollaborative Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene anvisiert (WBGU 2016, Kap. 8), aber zugleich behauptet, dass sie „nicht bei allen Themen oder auf allen Ebenen“ zum Tragen kommen kann (WBGU 2016, 116), sondern nur „[s]ofern es sich sinnvoll realisieren lässt“, da die „Mitwirkungsrechte […] nicht zu Überforderung der öffentlichen Verwaltung“ und/oder durch Überforderung der Bevölkerung nicht zu ihrer Abstumpfung führen dürfe (WBGU 2016, 152 f.). Angesichts der Erfahrungen in der Gemeinwesenarbeit in den 1970er Jahren (Oehler/Drilling 2016, 23) ist diese Gefahr sicher keine zu unterschätzende. Zugleich aber verdeutlichen die seither und nicht zuletzt deswegen entwickelten sozialraum- und stadtorientierten Ansätze sozialarbeiterischer Gemeinwesenarbeit (zum Überblick: Oehler/Drilling 2016; Noack 2015; Wendt, P. 2015, Kap. 10; sowie der dort nicht/kaum angeführte kommunalpädagogische Ansatz von Richter 1998; 2001; 2008 und dessen Weiterentwicklung u. a. mit Lefebvre bei Kunstreich/May 1999 sowie May 2017), dass der bereits von Marx (Marx 1981c, 95) und Paul Natorp (Natorp 1922, 112 ff.) und auch bei Lefebvre (Lefebvre 1974, 164) wiederzufindende kommunalpädagogisch-gesellschaftliche Erziehungsprozess des Staates in der Theoriebildung und Professionalität Sozialer Arbeit angekommen ist und gerade im Hinblick auf die Klimaproblematik eine elementare Arbeit am künftigen Sozialen leisten könnte.

Dass jedoch weder die öffentlichen noch die akademischen Klimadiskurse, dass weder soziale Bewegungen wie Fridays For Future noch die sie unterstützenden Scientists For Future davon Kenntnis nehmen, ist eine Sache. Dass sich aber zugleich auch Soziale Arbeit weder als Disziplin und noch als Profession von der Klimaproblematik, die im entscheidenden Maße eine Stadtentwicklungsproblematik ist (WBGU 2016), bislang noch kaum angesprochen sieht (von wenigen jüngeren Anrufen von Böhnisch 2019, Mührel 2020 und Bartosch 2020 einmal abgesehen), ist eines der großen Forschungsdesiderate der Gegenwart und trägt letztlich zur „sozialwissenschaftliche[n] Unterbestimmtheit“ (Leggewie 2015, 67) der gesamten Klimadebatte bei [9]. Diese Lücke zu schließen muss daher zentraler Bestandteil künftiger Diskussionen um die Theoriebildung und Professionalität sozialraum- und gemeinwesenorientierter Sozialer Arbeit sein, von wo aus der Transformationsbegriff in der Klima- und Anthropozändebatte neue Impulse erhalten kann.

Literatursammlung

Mehr dazu

Hier findet ihr einige Literaturvorschläge zum Thema „Recht auf Stadt“:

 

Común – Magazin

»Común – Magazin für stadtpolitische Interventionen« kommt mitten aus der Bewegung, in der auf ganz unterschiedliche Weise das Recht auf Stadt eingefordert wird. Aktivist*innen berichten von Verdrängung, Profitmaximierung, Ausverkauf und dem Widerstand dagegen. Sie teilen Erfahrungen mit Organisierung, mit Strategien und Methoden. Sie beschreiben am praktischen Beispiel, wie eine Kampagne oder Mobilisierung erfolgreich sein kann, reflektieren aber auch die Schwierigkeiten. Und sie zeigen uns das, was gern „Beispiele guter guter Praxis“ genannt wird – schaut her, so kann es gehen!

www.comun-magazin.org

 

Wiki zur bundesweiten Vernetzung:

http://wiki.rechtaufstadt.net/index.php/Start

 

Recht auf Stadt

von Henri Lefebvre

https://edition-nautilus.de/programm/das-recht-auf-stadt/

 

Grundlagentext „Recht auf Stadt“ von Andrej Holm

https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/august/das-recht-auf-die-stadt

 

Initiativen für ein Recht auf Stadt

von Andrej Holm / Dirk Gebhardt (Hrsg.)

https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Holm-Gebhardt-Initiativen-fuer-ein-Recht-auf-Stadt.pdf

 

Buch: „Strategien gegen Gentrifizierung“

von Lisa Vollmer

http://www.theorie.org/titel/688_strategien_gegen_gentrifizierung

 

Buch: Wir Bleiben Alle! – Gentrifizierung – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung

von Andrej Holm

https://www.unrast-verlag.de/gesamtprogramm/reihen/transparent/wir-bleiben-alle-325-detail

 

Buch: Die transformative Stadt -Reflexive Stadtentwicklung jenseits von Raum und Identität

von Andreas Thiesen

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3474-7/die-transformative-stadt/

 

Filmsammlung

Mehr dazu

Dies sind einige Filme zum Thema „Recht auf Stadt“ , steigende Mieten, Verdrängung, Bewegungsgeschichte, Besetzungen etc. Bei weiteren Vorschlagen schreibt uns gerne!

 

Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt

von Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers

Der Film ist ein Kaleidoskop der Mieterkämpfe in Berlin gegen die Verdrängung aus den nachbarschaftlichen Lebenszusammenhängen. Eine Besetzung des Berliner Rathauses, das Camp am Kottbusser Tor, der organisierte Widerstand gegen Zwangsräumungen und der Kampf von Rentnern um ihre altersgerechten Wohnungen und eine Freizeitstätte symbolisieren den neuen Aufbruch der urbanen Protestbewegung.

Infos/Trailer: mietrebellen.de

 

Das Gegenteil von Grau – Doku

von Matthias Coers und „Recht auf Stadt Ruhr“

Brachflächen, Leerstand, Anonymität, Stillstand – nicht alle zwischen Dortmund und Duisburg wollen sich damit abfinden. Im Gegenteil. Immer mehr Menschen entdecken Möglichkeiten und greifen in den städtischen Alltag ein. Ein Wohnzimmer mitten auf der Straße, Nachbarschaft, Gemeinschaftsgärten. Stadtteilläden, Repair Cafés und Mieter*inneninitiativen entstehen in den Nischen der Städte – unabhängig, selbstbestimmt und gemeinsam.Das Gegenteil von Grau zeigt unterschiedliche Gruppen, die praktische Utopien und Freiräume leben und für ein solidarisches und ökologisches Miteinander im urbanen Raum kämpfen.

Infos/Trailer: gegenteilgrau.de

 

Miete essen Seele auf – Doku

ARTE Dokumentation über Kotti & Co

„Miete essen Seele auf” dokumentiert zwei Jahre nachbarschaftlicher Organisierung und Protest am südlichen Kottbusser Tor gegen die jährlich erhobenen Mieterhöhungen und die damit verbundene Gefahr der Zwangsräumung. Die Initiative fordert Mietobergrenzen sowie die Rückführung der Sozialwohnungen in städtisches Eigentum. Die Dokumentation verknüpft dabei die Wohnungsfrage mit der Geschichte der Migration und betont eine Verbindung von Rassismus und urbaner Verdrängung.

Film: https://www.youtube.com/watch?v=1Ee5sOgmjI0

 

Bye Bye Sankt Pauli – Doku

von Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg

über die Kämpfe um die Esso-Häuser in Hamburg! Mit Be- und Anwohner_innen, Initiative Esso-Häuser, bayerischer Hausbau, Bezirksamtsleiter, Recht-auf-Stadt-Bewegung, mit internationalen Verflechtungen, Wut, Aktionen und einer nicht so schlechten Aussicht!

Infos/ Trailer: http://www.buybuy-stpauli.de/

Empire St. Pauli – von Perlenketten und Platzverweisen

Ein Dokumentarfilm von Irene Bude und Olaf Sobczak

Hamburgs berühmtester Stadtteil St. Pauli war lange auch der ärmste. Mittlerweile leben und arbeiten hier jedoch immer mehr Gut- und Bestverdienende. Die sozialen Gegensätze verschärfen sich. Der Film zeigt, dass St. Pauli nicht nur als Ausgeh- und Amüsierviertel, sondern vor allem als Wohn- und auch Wirtschaftsstandort attraktiv geworden ist.Im Film wird exemplarisch am Großprojekt des Brauquartiers der Industriewandel und Gentrifizierungsprozess aufgezeigt. Für den Film wurden über 50 Interviews geführt. Es wurde auf ExpertInnen von außen verzichtet. Verschiedenste St. PaulianerInnen kommen zu Wort: AnwohnerInnen, Angestellte, KünstlerInnen, Gastwirtinnen, Braumeister, Großinvestoren, SozialarbeiterInnen, Hoteliers, RechtsanwältInnen, der Bezirksamtsleiter und viele mehr. So bildet der Film jenseits von Rotlicht, Kleinkriminellen und Arme-Leute-Klischee ein vielfältiges Meinungsspektrum ab.

Website: http://www.empire-stpauli.de

Film: https://www.youtube.com/watch?v=HRCPGvyW5D8

 

Häuser, Hass und Straßenkampf – Die Revolte der westberliner Hausbesetzer – Doku

rbb Brandenburg

Geschichte der Hausbesetzungen, der Protestkultur, alternativen Formen des Zusammenlebens und gemeinschaftliche Organisierung z.B. von Kindergärten in Berlin in den 1980er Jahren.

Film: https://www.youtube.com/watch?v=EwUkOK-ty1s

 

Nur Platz für Millionäre – Wohnungsnot in London

Arte, Doku

Einzimmer-Apartments für 670.000 Euro, 21.000 leerstehende Wohnungen, die nur als Investment dienen, allein in der City: In London leidet inzwischen selbst die gehobene Mittelschicht unter Wohnungsnot. Seit dem Brand des Grenfell Towers organisieren sich Aktivisten gegen die entgleiste britische Wohnungspolitik.

Film: https://www.youtube.com/watch?v=SbGcWHTFqmU

 

We don’t like Samba -Doku

von CIS-Berlin

Ein Film über die sozialen Kämpfe gegen Soziale Ungleichheit, Verdrängung und steigende Kosten in Brazilien ein Jahr vor der Weltmeisterschaft.

Until recently, Brazil was one of the shooting-stars of the BRIC states. But after a decade of economic growth, the social cement began to crumble. Many people can no longer see a better future in the credit-based boom of the past years. One year before the World Cup and three years before the Olympics came the big bang. The biggest mass movement in decades emerged after the costs for public transportation rose in June 2013. Inspired by that insurrection, social struggles are now spreading like woldfire: workers going on wildcat strikes, young women mobilizing against the visit of the Pope, people fighting against urbanization projects. And in many favelas, resistance against militarization and displacement is on the rise. “We are not samba dancers” say the striking garbage workers known as “Garis” in one interview. “We are rebels”. They and other rebels tell their story in this documentary: We don’t like Samba.

Infos/Trailer: wedontlikesamba.wordpress.com