Offener Brief: Forderungen für eine sozial-gerechte Wohnraumversorgung + Neubau in der Beverstraße stoppen

Dies ist unser erster offener Brief an die Oberbürgermeisterin und Mitglieder des Stadtrats:

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrte Damen und Herren,

heute wenden wir uns zum ersten Mal direkt an Sie. Wie Sie wissen, ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt dramatisch. Erst kürzlich hat eine neue Studie belegt, dass in Aachen 61 % aller Haushalte in einer zu teuren oder unangemessenen Wohnung wohnen ¹. Dadurch hat Aachen eine der höchsten Mietbelastungsquoten bundesweit. Besonders betroffen von Mieterhöhungen sind ausgerechnet die Stadtteile, in denen viele Menschen von sozialen Problemen betroffen sind. Wie im Wohnungsmarktbericht 2020 festgehalten, sind vor allem Preuswald, Aachen -Ost und -Nord von Gentrifizierung betroffen. Gerade da, wo die Stadt sich um Aufwertung bemüht hat, werden besonders viele Bürger*innen verdrängt. Es profitieren vor allem Konzerne wie Vonovia oder Landmarken AG, trotzdem werden sie z. B. im Preuswald als angebliche Sozialpartner dargestellt. Uns drängt sich die Frage auf, für wen hier Politik gemacht wird? Warum kommen die Perspektiven derjenigen, die von Verdrängung unmittelbar betroffen sind, in der öffentlichen Diskussion nicht vor? Nehmen Sie für ein besseres Image der Stadt Gentrifizierung in Kauf? Warum wird für Driescher Hof das Programm „Soziale Stadt“ angedacht, ohne vorab eine kritische Diskussion über die Folgen zu führen, die dieses Programm in anderen Stadtteilen hat? Zählen die Bedürfnisse sozial benachteiligter Menschen weniger?

Obwohl die Probleme schon seit Jahren bekannt sind, sehen wir nicht, dass sich in der Politik etwas ändert. Die sechs beschlossenen wohnungspolitischen Handlungsinstrumente von 2018/2019 waren zwar im Vergleich zu anderen Städten sehr weitgehend, es blieb bisher jedoch bei schönen Worten. Beispielsweise konnten wir nicht beobachten, dass die Stadt in nennenswertem Umfang Wohnraum aufgekauft hätte. Trotz Strafen auf Leerstand kann Herr Sauren die untere Adalbertstraße leer stehen lassen, um nur das prominenteste Beispiel zu nennen.

Bei Nachfragen auf Info-Veranstaltungen wurden wir auf das neue Handlungskonzept verwiesen. Darin ist die Verringerung der Mietbelastung jedoch nicht einmal als Ziel formuliert, das Aufhalten von Gentrifizierung wird der „sozialen Mischung“ untergeordnet und konkrete Handlungsempfehlungen fehlen völlig. Zusätzlich fragen wir uns: Braucht es immer neue Handlungskonzepte, wenn sie nicht angewendet werden? Warum wurden erprobte Instrumente wie z.B. „Milieuschutzgebiete“ oder das Vorkaufsrecht bisher so selten angewendet? Außerdem gibt es vonseiten des Stadtrats keine überzeugende Strategie, wie die circa 5000 Sozialwohnungen, die bis 2029 wegfallen, erhalten oder kompensiert werden sollen. Was wird aus den jetzigen Mieter:innen? Was ist mit den vielen anderen Menschen, die eine Sozialwohnung brauchen? Schließlich haben circa 50 % aller Haushalte in Aachen Anrecht auf eine Sozialwohnung. Der Bestand müsste umfassend erweitert werden statt verringert!

Obwohl mittlerweile wissenschaftlich untermauert ist, dass der Wohnungsnot nur mit Lösungen im Bestand beizukommen ist, beruhen die meisten Lösungsvorschläge für Aachen auf Neubau¹. Dafür ist jedoch kaum Platz vorhanden. Gleichzeitig entstehen immer noch viele Bauprojekte ohne Sozialwohnungen². Wie kann das trotz der städtischen Vorgabe für 40 % sozialen Wohnraum bei Neubau sein?

Die Zeit drängt. Die soziale Spaltung wird immer spürbarer und der Klimawandel macht sich dieses Jahr besonders bemerkbar. Die Stadt und insbesondere die Frage des Wohnens nehmen im Klimaschutz eine zentrale Rolle ein. Zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels müssen Sanierungsprogramme zur Verringerung der Emissionen schnellstens umgesetzt werden. Die im Handlungskonzept Wohnen angegebenen 67 (!) Jahre bis zur vollständigen Sanierung des Bestands wären viel zu spät. Es darf auch nicht nur bei „klimaneutralen Mustersiedlungen bleiben“, sondern es müssten für jeden Stadtteil Konzepte umgesetzt werden. Dafür braucht es jedoch Bewohner:innen die dort langfristig wohnen, arbeiten und Verantwortung übernehmen können. Gentrifizierung verhindert dieses Ziel und damit auch Klimaschutz. Hinzu kommt noch die starke Umweltbelastung durch Neubau. In Anbetracht all dieser Probleme sollten Bauprojekte nur erlaubt werden, wenn sie die höchsten Anforderungen an Klimaschutz erfüllen, sich in eine klimafreundliche Quartierstruktur einfügen und bezahlbaren Wohnraum bieten.

Wir fordern Sie dazu auf, soziale Probleme wie Verarmung durch Mietbelastung und Gentrifizierung als solche anzuerkennen und offen über Lösungsansätze zu diskutieren. Dabei sollten auch Inspirationen wie ein Mietendeckel oder die Forderungen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ ernst genommen werden. Wir fordern, dass die Stadt ihre eigenen Handlungsinstrumente konsequent anwendet und die Vielfalt an wohnungspolitischen Möglichkeiten im Sinne einer neuen Gemeinnützigkeit ausschöpft. Wir fordern, dass rein-profitorientierte Bauprojekte nicht mehr erlaubt werden. Wir fordern, dass die Wohnungspolitik sich an den Bedürfnissen der Mieter:innen orientiert, statt am Profit von Unternehmen. Wir fordern, dass die Generationenaufgabe, der Umbau zur klimaneutralen Stadt, nicht nur mit Leuchtturmprojekten, sondern flächendeckend und gemeinsam mit der Bevölkerung angegangen wird.

Um Ihren guten Willen zu beweisen, bieten wir Ihnen direkt eine Möglichkeit: Auf dem Gelände der Beverstraße 73 soll ein privates Studierenden-Wohnheim mit circa 60 voll möblierten Mikro-Appartements gebaut werden – das Modell für Neubau, das die höchsten Mieten erlaubt! Keine 40 % Sozialwohnungen und keine Bürger:innenbeteiligung. Dass so ein Projekt erlaubt werden konnte, ist uns unerklärlich. Schließlich wurden gerade im Frankenberger Viertel bereits viele Chancen vertan, einkommensschwächeren Haushalten ein neues zu Hause zu bieten. Deswegen fordern wir, dass die jetzigen Pläne gestoppt werden und im Rahmen einer Beteiligung der Nachbarschaft ein neuer Entwurf erstellt wird!

Wir fordern Mieten unter 7€/m², 55 % Sozialwohnungen zeitlich unbegrenzt und Grundrisse für verschiedene Bedürfnisse! Unsere ausführliche Begründung finden Sie auf dem Flyer im Anhang.

Wir hoffen, Sie stimmen mit uns in der Einschätzung der Dringlichkeit der Lage überein und werden schnell aktiv! Nicht nur in der Lokalpolitik, sondern auch auf Landes- und Bundesebene müsste viel mehr getan werden, um eine sozial-gerechte Wohnraumversorgung zu gewährleisten. Nutzen Sie Ihre Parteistrukturen und machen Sie Druck im Sinne einer von Menschen aller Schichten bewohnbaren Stadt!

Mit freundlichen Grüßen

Recht auf Stadt Aachen

¹Holm, A./ Regnault, V./Sprengholz, M./ Stephan, M. (2021):  Muster sozialer Ungleichheit

 der Wohnversorgung in deutschen Großstädten   

² rechtaufstadt-aachen.de  Alles zu Aachen  interaktive Karte: Bausünden in Aachen

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