Die eigene Stadt beziehungsweise Region als lebenswert, innovativ und zukunftsfähig zu bewerben liegt im ureigenen Interesse der Lokalpolitik, da die Stadt als Standort begriffen wird. Es gilt, sich in der Konkurrenz zwischen den (Stadt-) Standorten zu behaupten, um zukunftsfähig zu bleiben. Entsprechend dieser Logik ist auch der Imagefilm der Stadt Aachen aufgebaut. Zu sehen ist die marketingtechnisch vorteilhafte Melange aus kreativen Designerinnen, „Youtube-Künstlern“, erfolgreichen Unternehmern, Studierenden und alternativ geprägten Kunstschaffenden, die die Vorzüge der Stadt Aachen über die Vereinbarkeit von Familienleben und Subkultur im Frankenberger Viertel definieren.
„Eine Stadt wie ein Wohnzimmer, Fritten mit Mayo, Kultur und Hightech: Es gibt gute Gründe, in Aachen zu leben.“i
Also alles in Ordnung in Aachen? Auf den ersten Blick scheint es so. Das Image der Stadt wird positiv besetzt, die Mischung aus Kultur und Innovation wird städtischerseits betont und verweist auf eine rosige Zukunft.
Was aber ist mit den Menschen, deren Existenzbedingungen sich nicht zum Stadtmarketing eignen? Sie werden nicht gefragt, „was sie besonders an ihrer Stadt mögen“. Vermieden werden soll ein Blick hinter die mühsam aufgebaute Fassade der vorwärtsgewandten, kulturträchtigen Stadt, deren Bewohner_innen sich ihre Zeit durch „Fritten mit Mayo“ essen vertreiben. Wer sind diese Menschen und welchen Herausforderungen und Problemen begegnen sie in der Stadt Aachen?
Es sind zum Beispiel die Menschen, die laut einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zu den von sogenannter „Kaufkraftarmut“ betroffenen Personen zählen. Das Konzept der Kaufkraftarmut setzt, im Gegensatz zu anderen Konzepten zur Armutserfassung, das verfügbare Einkommen einer Person in Relation zu den Lebenshaltungskosten des jeweiligen Wohnortesii. In der Städteregion Aachen liegt der Anteil der kaufkraftarmen Personen an der Gesamtbevölkerung bei 22,6iii Prozent. Mehr als jede/r fünfte Aachener_in ist also betroffen. Im Ranking der kaufkraftärmsten Städte und Regionen in Deutschland belegt die Städteregion den zwölften Platz und liegt damit nur 1,5 Prozentpunkte hinter der Stadt Duisburg (24,1%), die unter dem Niedergang der Industrie im Ruhrgebiet stark gelitten hativ. Ein großer Teil der Aachener Bevölkerung ist dementsprechend auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen. Hierbei sind insbesondere (Langzeit-) Erwerbslose, Studierende und Geflüchtetev sowie prekär oder im Niedriglohnsektor Beschäftigte und Alleinerziehende zu nennen. Die Anzahl der sog. „Transferleistungsempfänger_innen“ in Aachen betrug im Jahre 2016 29.629 Personen, die Anzahl der Personen im Wohngeldbezug 1720vi. Der Wohnungsmarktbericht 2016 der Stadt Aachen weist demgegenüber für das Jahr 2016 einen Bestand von 9.944 Sozialwohnungen aus (2012: 10.488 Wohnungen). Bis zum Jahr 2026 werden den Berechnungen der Stadt zufolge 4390 Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung fallen. Die daraus resultierende Vermietungspraxis unter Marktbedingungen wird dafür sorgen, dass diese Wohnungen für weniger zahlungskräftige Personen schwer beziehungsweise nicht mehr zu finanzieren sind. Außerdem ist davon auszugehen, dass die so wegfallenden günstigen Wohnungen „nicht vollständig durch Neubauprojekte kompensiert werden können“vii. Im Jahr 2016 suchten 3.390 Haushalte nach einer geförderten Wohnung, während „es de facto im geförderten Wohnraum in Aachen langjährig keinen Leerstand gibt“viii.
Bezahlbarer Wohnraum in Aachen ist jetzt bereits Mangelware, in Zukunft wird sich die Lage aller Voraussicht nach noch weiter verschärfen. Bauprojekte wie das Wohnquartier „Guter Freund“ werden von politisch Verantwortlichen als „wesentlicher Beitrag“ zur Lösung der akuten Wohnungsnot gelobtix. Wie die 183 geförderten Wohneinheiten des Wohnquartiers „Guter Freund“x angesichts der zuvor zitierten Zahlen einen „wesentlichen Beitrag“ leisten sollen, bleibt dabei im Dunkeln. Es entsteht der Eindruck, dass Prestigeprojekte vom grundsätzlichen Problem ablenken sollen. So muss beispielsweise der im Zuge der Errichtung des „Aquis Plaza“ vernichtete Wohnraum vertragsgemäß erst bis zum Jahre 2020 ersetzt werden, also fünf Jahre nach der Eröffnung des Shoppingcentersxi. Dieser Umstand stellt nur ein Beispiel dafür dar, welche Prioritäten politische Entscheidungsträger_innen setzen. Es gilt das Motto: Vorfahrt für Kapital und Profit. So sprachen sich die Aachener Grünen im Jahr 2016 dafür aus, zusätzliches Geld für den sozialen Wohnungsbau aus Stiftungsmitteln bereitzustellen, welche dadurch eine höhere Rendite erwirtschaften sollten. Auch der Fraktionsvorsitzende der SPD Aachen äußerte sich dahingehend, dass private InvestorInnen eine größere Rolle im, auch höherpreisigen, Wohnungsbau übernehmen sollten, da jede zusätzliche Wohnung den Marktdruck verringern würdexii.
Zur grundsätzlich angespannten Lage kommt erschwerend hinzu, dass die schwarz-gelbe NRW Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag weitreichende Änderungen zum Nachteil von MieterInnen beschlossen hat. Ganz im Sinne neoliberaler Ideologien wurde die sog. „Mietpreisbremse“ aufgehoben um „das Angebot auf dem Wohnungsmarkt zu vergrößern“. Private Investitionen in den Wohnungsbau werden favorisiert. Außerdem sollen mehrere Verordnungen zum Schutz von MieterInnen wieder aufgehoben werden. Dazu zählen die Kündigungssperrfristverordnung, die Umwandlungsverordnung sowie die Zweckentfremdungsverordnungxiii. Die Zweckentfremdungsverordnung diente dem Zweck, in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf die Zweckentfremdung von Wohnraum, zum Beispiel durch die Umwandlung von Wohn- in Geschäftsräume, spekulativen Leerstand sowie die Vermietung von Wohnungen als Ferienwohnungen, zu unterbinden bzw. nur mit Sondergenehmigung zu erlaubenxiv. Die Umwandlungsverordnung diente dazu, mit Hilfe einer sog. „Milieuschutzsatzung“ Gebiete zu definieren, in denen die Kommunen ein Vorkaufsrecht sowie Einflussmöglichkeiten auf die Umwandlung von Miet- zu Eigentumswohnungen hattenxv. Die Städteregion Aachen zählt zu den Regionen in NRW, in denen eine Kündigungssperrfristverordnung (noch) regelt, dass eine verlängerte Sperrfrist von fünf Jahren für eine Umwertungsbedingte Wohnungskündigung seitens des Vermieters zwecks einer Umwertung von Wohn- in Eigentumswohnraum mit anschließendem Verkauf giltxvi.
Aus der Betrachtung der Wohnraumsituation in Aachen und der herrschenden Zustände auf kommunal- und landespolitischer Ebene ergibt sich konkreter Handlungsbedarf. Die Fokussierung der politisch Verantwortlichen auf Standortkonkurrenz, die profitorientierte Verwertung der Stadt und die daraus resultierenden kapitalfreundlichen Entscheidungen machen eine demokratische Einmischung von unten nötig. Missstände, insbesondere jedoch die Ursachen dieser Missstände, müssen benannt werden um den Kampf für die Verwirklichung der Stadt für Alle führen zu können.