Offener Brief zur Stadtteilentwicklung in Aachen-Forst

Diesen Brief haben wir am 28.04.2023 Mitgliedern des Stadtrats und der Stadtverwaltung zugeschickt:

                                              

Sehr geehrte Damen und Herren der Stadtverwaltung, sehr geehrte Mitglieder des Stadtrats,

mit großem Interesse verfolgen wir Ihre Vorbereitungen zur Umsetzung der Stadtteilentwicklung in Aachen-Forst, Schönforst und Driescher Hof. Die Ähnlichkeit der Zielsetzung und des bisherigen Vorgehens zu den Stadtteilentwicklungsprogrammen „Soziale Stadt Aachen-Ost und -Nord“ ist deutlich. Diese Ähnlichkeit ist für uns jedoch ein Grund zu großer Sorge. Diese Sorge hat sich durch die Art verstärkt, wie das Stadtteilentwicklungsprogramm am 23.11.22. bei der Diskussion um das Neubaugebiet Grauenhofer Weg vorgestellt wurde. Bestürzt mussten wir feststellen, dass Strategien, um Gentrifizierung zu verhindern oder Lehren aus vergangenen Stadtteilentwicklungsprogrammen nicht angesprochen wurden.

Schließlich haben die Programme in Aachen-Nord und Ost nicht nur Positives bewirkt. Positiv waren die erfolgreichen Verschönerungen im öffentlichen Raum und eine Steigerung der Lebensqualität. Beide Stadtteile gehören jedoch mittlerweile zu denen, in denen die Mieten mit am stärksten erhöht wurden. An der oberen Jülicher Straße wurden die Mieten zwischen 2013/14 und 2018/19 um 42,1% und in Rothe Erde um 43,3% erhöht.  Das sind die höchsten Steigerungsraten in ganz Aachen. Alle Stadtteile, in denen die Verwaltung Stadtteilentwicklungsprogramme durchführte, wie z.B. auch im Preuswald oder am Kronenberg verzeichnen daraufhin starke Mieterhöhungen1.

Diese Mieterhöhungen haben bereits zu Gentrifizierung und Verdrängung geführt. Im Rehmviertel, dem ursprünglichen Arbeiter*innenviertel ist der Anteil der Altersgruppe der Studierenden zwischen 2008 und 2018 von 38,7% auf 53,5% gestiegen². Der Rückgang der Kinderarmut in Aachen-Nord wird ebenfalls auf Verdrängung statt auf Entlastungsmaßnahmen für Betroffene zurückgeführt³. Zudem fallen in den kommenden Jahren in diesen Bereichen enorm viele Sozialwohnungen aus der Preisbindung, was die Verdrängung weiter anheizen wird. Im Bereich der Scheiben-/Eifelstraße fallen bis 2031 94 % aller Sozialwohnungen aus der Bindung und an der oberen Jülicher Straße bis zu 75%. Diese Problematik wurde während der „Soziale Stadt“-Programme zu wenig beachtet. Die Stadt muss sich vorwerfen lassen, die Mieter*innen nicht ausreichend zu schützen.

Weiterhin haben die „Soziale Stadt“-Programme ihre soziale Zielsetzung verfehlt. Die Sozialdaten weisen weiterhin erhebliche Probleme auf. Noch immer lebt in Aachen-Ost jedes zweite Kind in Armut und mehr als ein Drittel der Bevölkerung bezieht Sozialgelder. In Aachen-Nord ergibt sich ein ähnliches Bild. Außerdem zählen die beiden Stadtteile zu den Bereichen mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Die Stadtteilentwicklung hat es also nicht geschafft die soziale Situation zu verbessern und die Bevölkerung so gut einzubeziehen, dass sie sich als Teil dieser Demokratie sehen4. Dies wird auch an der fragwürdigen Investitionsstrategie liegen. Von 16 Millionen Euro wurden in Aachen-Ost nur 2% für Beteiligung, nur jeweils 4% für Arbeitsmarkt & lokale Ökonomie und Soziales & Gesundheit, nur 5% für Jugend/ Frauen/ Familien und 6 % für Bildung/ Kultur/ Freizeit ausgegeben. Jedoch gingen 79 % in bauliche Aufwertungsmaßnahmen5. Statt in Strukturen zu investieren, die langfristig die Situation der Menschen verbessern, wurden oberflächliche Verschönerungen favorisiert.  In Aachen-Nord hat die Stadt sogar die Ansiedlung von Start-Up- und Co-Working-Zentren unterstützt, wohl wissentlich, dass ein Großteil der aktuell ansässigen Bevölkerung dort keine Arbeit finden und Gentrifizierung angetrieben wird.  Die kapitalistische Stadtentwicklung wird von der Regierung und der Verwaltung scheinbar lieber unterstützt als den Bedürfnissen der Bevölkerung nachzukommen. Die bisherigen Stadtteilentwicklungen haben zwar den Bewohner*innen der Viertel ein schöneres Umfeld beschert, aber gleichzeitig dafür gesorgt, dass sehr viele Bewohner*innen diese Verschönerungen aufgrund von Verdrängung nicht lange genießen können.

Will die Stadt die Stadtteilentwicklung dieses Mal sozialer gestalten? Welche Lehren werden für Forst, Schönforst und Driescher Hof aus den Programmen in Nord und Ost gezogen? Wie werden die Mieter*innen in den Vierteln vor Verdrängung geschützt? Was will die Stadt anders machen, um auch die von sozialen Problemen belastete Bevölkerung besser einzubeziehen? Was wird unternommen, um die Armutsquoten zu senken und die Bildungsquoten zu verbessern? Diese Überlegungen sollten unserer Meinung nach an erster Stelle stehen und wir fordern Sie auf, diese Fragen öffentlich zu beantworten. Schließlich gehören die drei Viertel wie auch Aachen-Ost und -Nord zu denen, die besonders von Segregation, Armut, geringer Bildung und anderen Problemen betroffen sind6. Die geringe Wahlbeteiligung zeigt auch dort, dass die Menschen sich nicht wahrgenommen fühlen.

Ein Grund für die Konzentration der Probleme ist, dass die Gebiete bzgl. der Mietpreise noch zu den Bezahlbarsten gehören. Menschen, die sich andernorts die Miete nicht leisten können, sind gezwungen dorthin zu ziehen. Der Wandel passiert leider jedoch bereits. Zwischen 2013/14 und 2018/19 gehörte Driescher Hof zu den Gebieten in Aachen, in denen die Mieten am stärksten erhöht wurden7. Auch in Schönforst wurden die Mieten um bis zu 30% erhöht. In den letzten Jahren liegen die Mieterhöhungen zwar „nur“ bei bis zu 20% im Programmgebiet aber bis 2031 werden auch dort enorm viele Sozialwohnungen aus der Preisbindung fallen. In Altforst betrifft dies 87,9% aller Sozialwohnungen, im benachbarten Brander Feld 64% und in Driescher Hof mit ca. 400 Wohnungen 50,3%. Hunderte Haushalte könnten dadurch verdrängt werden. 

Bisher deutet nichts darauf hin, dass die Stadt dieses Problem bessern will. In den aktuellen Plänen für den Neubau am Grauenhofer Weg sind trotz der festgelegten 40%-Quote bei Neubau nur 30% Sozialwohnungen vorgesehen. Im 2007 fertiggestellten Wohngebiet am Grauenhofer Weg befinden sich gar keine Sozialwohnungen8.

Wir fordern, die Stadtteilentwicklung so zu gestalten, dass Gentrifizierung verhindert wird! Stellen Sie die Bedürfnisse der Bevölkerung vor den Profit der Immobilienbesitzer*innen! Ansonsten ist es wahrscheinlich, dass der Zusammenhalt und die sozialen Netzwerke, die laut der Beschreibung das Ziel der Stadtteilentwicklung sind, in ein paar Jahren durch Verdrängung zerrissen werden.

Wir schlagen als erste Maßnahme und Beweis des guten Willens die Einrichtung eines Milieuschutzgebietes vor und bitten um die Prüfung dieses Vorschlags. Wenn für Prestigeprojekte wie das neue Kurhaus 50 Millionen Euro und für das „Haus der Neugier“ über 80 Millionen Euro eingeplant werden, sollten auch ähnliche Summen zur Milderung des Mietenwahnsinns, eines der größten sozialen Probleme unserer Zeit, bereitstehen.

Mit freundlichen Grüßen

Recht auf Stadt Aachen

1 Wohnungsmarktbericht der Stadt Aachen 2020: Seite 90.

² Dritter Sozialentwicklungsplan der Stadt Aachen, Seite 39

³ Dritter Sozialentwicklungsplan der Stadt Aachen, Seite 141

4 Becker (2020): Beteiligung der Bevölkerung während des Programms „Soziale Stadt“ in Aachen Ost & Nord.

5Stadt Aachen (2010): Von Menschen und Orten – Ein Streifzug durchs Quartier. Dokumentation zur Stadtteilerneuerung Aachen-Ost. Seite 112.

6 Dritter Sozialentwicklungsplan der Stadt Aachen, Seite 218

7Verdrängungsatlas der Stadt Aachen 2018.

8Immobilienbericht der Stadt Aachen 2007, Seite 27.

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