Verdrängung hat ein Gesicht
18. Februar 2009: Der Stadtrat verabschiedet die Bebauungspläne zur
Kaiserplatzgalerie, heute Aquis Plaza. Hiermit stand die Entscheidung
für ein dreigeschossiges, verglastes Einkaufszentrum mit 29.000 m²
Verkaufs- und 2000 m² Gastronomiefläche fest. Doch die Grundlage wurde
schon
weit im Vorfeld gelegt, als die Aachener Politiker_innen eine Satzung
für dieses Baugebiet verabschiedete, die Entmietung und Abriss
ermöglichte. Durch den Verkauf an Hans Kahlen – ein Aachener Investor
und Architekt – wurde ein großer Teil des öffentlichen Raums
privatisiert. 6.000-7.000 m² an günstigem Wohnraum konnten somit legal
vernichtet werden. Dies bedeutete für
300 Menschen die Entmietung und folglich die Verdrängung.
Auch das denkmalschutzwürdige Gloria-Kino aus den 1950er Jahren und
eine 160 Jahre alte Kastanie, die als Naturdenkmal deklariert war,
mussten auf Kosten der Kaiserplatzgalerie weichen. Von einer weiteren
Form der Verdrängung ist die Gruppe suchtkranker Menschen betroffen, die
sich regelmäßig am Kaiserplatz versammelt, weil sich dort das Café
Relax findet. Das Café Relax ist ein soziales Angebot für Suchtkranke.
Die Stadt beschloss, dort eine Ansammlung von fünf Personen zu
verbieten; zudem untersagt sie das Sitzen auf dem Boden am Kaiserplatz.
Wir werten das als eine „heimliche“ Privatisierung, deren Auswirkungen
nicht nur die Gruppe Suchtkranker betrifft, sondern potentiell auch auf
alle Bevölkerungsgruppen übertragen werden kann.
All diese Punkte sowie alternative Konzepte für das Baugebiet wurden von der Bürger_innen–Initiative „Kaiserplatzgalerie – Nein danke!“ an die Politiker_innen des Stadtrates herangetragen. Ohne auf die Bürger_innen-Initiative einzugehen, deklarierte die Stadt den Wohnraum in der Öffentlichkeit als heruntergekommen oder baute ihn zu Lagerräumen um. Damit wollten sie die Situation beschönigen. Dies lässt klar werden, dass der Stadtrat in vollem Bewusstsein handelte und die Verdrängung billigend in Kauf nahm.
Stadt als Unternehmen
Die mit der Kaiserplatzgalerie in Aachen vorgefundene Situation stellt kein einmaliges Phänomen dar, sondern kann als Teil der globalen Stadtentwicklung gesehen werden. Dieser Prozess, der die soziale, bauliche und wirtschaftliche Aufwertung von Wohnvierteln beschreibt, wird Gentrifizierung genannt. Die derzeit vorgefundene Stadtentwicklung ist ein Teil der Entwicklung des sich in der neoliberalen Phase befindenden Kapitalismus. Er ist gekennzeichnet durch eine globale Deregulierung des Kapital-, Waren- und Geldverkehrs. Eine Folge dessen ist die Deindustrialisierung westlicher Städte.
Hierzu ein kurzer Einblick in die Geschichte der kapitalistischen Stadtentwicklung: Als die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert Deutschland erreichte, waren die Städte Fabrikstandorte. Dies machte sie für Arbeiter_innen attraktiv. Somit waren die rasant wachsenden Städte hauptsächlich von diesen bewohnt, was bedeutete, dass das Durchschnittseinkommen eher gering ausfiel. Da der Kapitalismus sich zu einem globalen Phänomen entwickelt hat, verloren die westlichen Städte ihren Reiz als Industriestandorte.
Dies ist auf den Kostenanstieg der westlichen Stadt als Standort zurückzuführen.Durch den globalen Kapitalismus war die Möglichkeit gegeben, neue, günstigere und daher gewinnbringendere Standtorte zu erschließen. Unter welchen Verhältnissen die Arbeiter_innen nun beispielsweise in Bangladesch arbeiten müssen, wurde schon häufig von den Medien aufgegriffen. In den westlichen Städten hat sich der Schwerpunkt unterdessen hin zu Forschung, Entwicklung, Design, Vertrieb und Werbung verschoben. Für die Städte sind Standpunkte mit diesen Schwerpunkten entscheidend, weshalb sie untereinander um diese konkurrieren.
Folgen dieser Entwicklung sind, dass hauptsächlich Arbeitsplätze für
hochprofessionalisierte Arbeitskräfte geschaffen werden. Die anderen
Beschäftigten werden in den prekarisierten Niedriglohhnsektor verbannt
oder werden sogar arbeitslos. Die Stadt wird nun so gestaltet, dass sie
für erstere attraktiv ist. Daraus folgt, dass unterschiedliche
politische, kulturelle und bildende Angebote der Stadt hauptsächlich auf
diese zugeschnitten werden. Die Angebote betreffend herrscht ebenfalls
eine Konkurrenz zwischen den Städten. In diesem Zusammenhang werden
Geringverdiener_innen und Arbeitslose als Kostenfaktor und nicht
profitabel wahrgenommen. Die Stadt wird zum hörigen Unternehmen.
Vom Reihenhaus zur Stadtwohnung
Doch was passiert mit jenen Geringverdiener_innen und Arbeitslosen im Konzept der neoliberalen Stadt? Resultierend aus der Veränderung des Lebensstils der Mittelklasse werden jene an die schlecht angebundenen Ränder der Stadt verdrängt. Die Entwicklung der Mittelklasse weg vom klassischen Kleinfamilienmodell mit dem Traum eines Reihenhauses in einem Vorort hat zur Folge, dass diese die Wohnungen in der Innenstadt immer interessanter finden. Dadurch wird auch das Interesse von Investor_innen geweckt, die die Häuser kaufen und sanieren. Einziges Ziel hierbei ist die Profitmaximierung. Schließlich kann mit Wohnraum, der die Mittelklasse anspricht, mehr Profit generiert werden als mit Sozialbauten.
Es kommt zur Verdrängung der ursprünglichen Bewohnerschaft, für
welche die Mieten zu hoch werden. Doch Verdrängung entsteht nicht nur
durch das Aufkaufen und Aufwerten von bereits bestehenden Objekten,
sondern auch durch Neubauprojekte wie die Kaiserplatzgalerie. Doch nicht
nur die 300 Menschen, die offensichtlich durch
den Bau der Galerie verdrängt wurden, sind betroffen von dem
Gentrifizierungsprozess, sondern auch jene, die in den Wohnungen der
umliegenden Straßen leben. Denn ein Bauprojekt wie die
Kaiserplatzgalerie hat Auswirkung auf die gesamte Stadt und drüber
hinaus.
Doch diese Art von Stadt ist nicht die, in welcher wir leben wollen. Unsere Vorstellung ist eine andere. Wir wollen nicht nur individuell oder gemeinschaftlich auf die Ressourcen einer Stadt zugreifen, sondern sie viel mehr in einem kollektiven Prozess nach den Wünschen und Bedürfnissen aller zu gestalten. Darum wollen wir gemeinsam am Dienstag, 27. Oktober 2015 gegen die kapitalistische Stadtentwicklung ein Zeichen setzen und rufen euch dazu auf, um 18 Uhr zum Kugelbrunnen zu kommen. Dort wollen wir mit unserer Recht-auf-Stadt-Kundgebung auf die große Problematik und auf die diesbezüglich asoziale Haltung der Politik hinweisen.