Eine kritische Perspektive auf die aktuellen Diskussionen um Nachverdichtung und Wohnungsnot
Um die eklatante Wohnungsnot in Aachen zu verringern, setzt die Stadtregierung hauptsächlich auf Neubauten. Langfristig soll dadurch der Druck vom Wohnungsmarkt genommen werden und die Mietsteigerungen abflauen. Obwohl der Erfolg nicht bewiesen und die gesamte Strategie hoch umstritten ist, wird Neubau weiterhin stärker fokussiert als mögliche Veränderungen im Bestand. Da die Fläche der Stadt bis in die Außenbezirke fast vollständig bebaut ist, muss in Nachbarschaften nach Bauland gesucht werden – es kommt zur sogenannten Nachverdichtung. Baulücken, Leerstand oder Hinterhöfe kommen dafür in Frage. Die bisherigen Maßnahmen zur Nachverdichtung stehen beispielhaft für die politische und gesellschaftliche Lage in Aachen.
Die Stadt Aachen hat unter der CDU-Regierung verdeutlicht, was Nachverdichtung und neoliberale Stadtplanung von oben nach unten bedeuten. So wurde es in vielen Fällen Investor:innen ermöglicht, unter dem Deckmantel der „Notwendigkeit von Nachverdichtung“, ausschließlich hochpreisigen Wohnraum zu bauen. Dazu gehören die Mephisto-Höfe oder der Schweden-Park im Frankenberger Viertel, am Karlsgraben 12 oder die Benediktinerhöfe in Burtscheid usw. Die Liste an Luxusbauprojekten ist lang (1). Darüber hinaus ließ die Stadt es zu, dass 40 % des Neubaus aus Mikroappartements besteht. Für diese 26 m² kleinen Zellen, die überwiegend an Student:innen vermietet werden, können die höchsten Mietpreise gefordert werden. Die Statistiken zeigen, dass in den vergangenen Jahren der Anteil an Wohnungen mit Mieten über 10€ pro m² am stärksten zunahm (2).
Dass gleichzeitig kaum Sozialwohnungen gebaut wurden und mit jedem dieser Bauprojekte eine Chance vergeben wurde, die Wohnungsnot zu lindern, wurde nicht öffentlich thematisiert. Dabei haben fast die Hälfte aller Haushalte in Aachen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein!
Solange aber der Wohnungsmarkt die Bedürfnisse dieser Menschen nicht vollständig abdeckt, sollten neue Projekte ausschließlich bezahlbaren Wohnraum schaffen. Trotz der Flächenknappheit gingen die meisten Wohnungsbauprojekte der Stadt in den vergangenen Jahren also völlig am Bedarf vorbei. Die bis heute ungebremsten Mietsteigerungen sind durch diese Fehlentwicklung angeregt statt verlangsamt worden. Insgesamt macht die Entwicklung unter der CDU-Regierung den Eindruck, dass das Argument „Nachverdichtung“ nur dazu dienen würde, Investor:innen die letzten attraktiven Flächen zu überlassen. Jedes dieser Bauprojekte belegt in unseren Augen allzu deutlich, für wen hier eigentlich Politik gemacht wird. Die Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass heute in Aachen 46 % aller Haushalte mehr als die empfohlenen 30 % des Einkommens für Miete ausgeben müssen – damit steht Aachen bei der Mietbelastungsquote bundesweit an 4. Stelle (3)
Dort, wo Anwohner:innen sich gegen den Neubau von Spekulationsobjekten gewehrt haben, wurden sie gemeinsam von der Stadt und den Investor:innen mit einem „Beteiligungsprogramm“ solange hingehalten, bis die Aufregung verflogen war. Diese Strategie war fast immer erfolgreich. Im Fall der Luisenhöfe, im Hinterhof der Südstraße, haben sich die Anwohner:innen jedoch längerfristig organisiert. Sie wollen die dortigen Nachverdichtungspläne beeinflussen und ein soziales und ökologisches Vorbildprojekt entstehen lassen. Trotz großer Unterstützung und Solidarität aus der Bevölkerung stieß ihr Anliegen auf wenig Gegenliebe bei der Stadt und den Investor:innen. Bei den letzten Gesprächen war der Tenor: Wenn die Anwohner:innen schon mitgestalten wollen, sollten sie doch ein Stück der Fläche kaufen. Seitdem gibt die Verwaltung keine Informationen mehr preis. Wer es sich nicht leisten kann, kann in Aachen auch nicht mitreden.
Dieser Eindruck entsteht auch im Rest der Stadt. In Stadtteilen wie Aachen-Ost, Aachen-Nord oder Forst wurde Nachverdichtung quasi unter Ausschluss der der Öffentlichkeit betrieben, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommt. Für wen die Wohnungen gebaut werden oder wie sich die Baumaßnahmen auf das Umfeld auswirken könnten, bleibt offen. Zum Beispiel wurde in Aachen-Ost ein privates Studierenden-Wohnheim direkt an Gärten gebaut. In Aachen-Nord wurde eine leere Fabrik zu einer Mini-Gated Community ausgebaut. Beide Male ohne Protest aus der Nachbarschaft. Wir vermuten, das liegt nicht daran, dass es den Anwohner:innen egal ist, sondern daran, dass in diesen Nachbarschaften überdurchschnittlich viele Menschen mit sozialen Probleme zu kämpfen haben. Wer mit Armut, Schulden, schlechten Arbeitsbedingungen, Rassismus oder schwierigen Familienverhältnissen zu kämpfen hat, hat selten noch die Kraft, sich für eine gerechte Stadtteilentwicklung einzusetzen. Unsichere Arbeitsverträge, steigende Mieten, steigende Ticketpreise oder fehlende Investitionen im Sozialbereich etc. haben diese Situation in den letzten Jahren noch verschärft. Bei den aktuellen Diskussionen um „Beteiligung“ in Aachen, z.B. rund um das „Öcher Lab“ oder das „Bürgerforum“, werden diese Erkenntnisse leider nicht miteinbezogen.
Dafür werden die lokalpolitischen Diskussionen zu stark von Menschen dominiert, die von solchen Problemen nicht betroffen sind. Hierfür bezeichnend sind die Diskussionen um die Bauprojekte in Richterich-Dell, am Tuchmacherviertel in Brand, in der Nizzaallee am Lousberg oder aktuell in der Beverau. Einem der wohlhabendsten und grünsten Viertel Aachens. Im Moment wird dort über die geplante Geschosshöhe eines Neubaus am Brander Hof gestritten. Hier hat sich die Stadt tatsächlich einmal um eine kooperative Wohngemeinschaft bemüht, doch einzelne Anwohner:innen wollen nicht, dass ihre Aussicht verbaut wird. Der Stil des Neubaus passe nicht zu den umliegenden Einfamilienhäusern. Diese Argumente finden sich auch am Lousberg, in Brand und Richterich. Dass eine ansprechendere Architektur auch für mehr bezahlbaren Wohnraum geschaffen werden sollte, wurde dagegen noch nirgends gefordert. Der kleinbürgerliche Egoismus scheint größer zu sein als das Bewusstsein für Solidarität, die eigenen Privilegien und soziale Probleme in der Stadt. Da jedoch wohlhabende Menschen genug Zeit und Kapazitäten haben, um Vereine zu gründen und sich über Jahre zu engagieren, wird ihre Stimme gehört. Schon die Zeitungen AZ/AN schenken solchen Bürger:innen-Initiativen viel mehr Aufmerksamkeit, als den Problemen marginalisierter Gruppen. Schließlich stammen vermutlich die meisten ihrer Leser:innen aus dem gleichen bürgerlichen Milieu. Viele andere Gruppen können sich die Zeitungen gar nicht leisten. Da die Bürger:innen-Initiativen sich nicht mit diese Gruppen solidarisieren, verhallt selbst ihr Protest trotz aller Vorteile oft ohne Erfolg. Sei es am Lousberg oder in Brand: Wer nur mit der eigenen Aussicht argumentiert, trifft auf wenig Verständnis. Würde man den eigenen Kampf zum Wohl der gesamten Stadt führen, könnte über die Stadtteile hinweg Solidarität entstehen. Druck auf die Politik aufzubauen, wäre dann ganz neu denkbar.
Am Thema Nachverdichtung lässt sich also sehr gut aufzeigen, wer in unserer Stadtgesellschaft mitreden kann und wer nicht. Wer gehört wird und wer nicht. Wem die Stadtverwaltung bisher entgegenkam und wem nicht. Für wen gebaut wird und für wen nicht. Für wen die Stadt in Zukunft da sein soll und für wen nicht. Woran es in der Bevölkerung untereinander fehlt, um unsere Lebensbedingungen gemeinsam zu bestimmen. Welche Möglichkeiten uns offenstehen, eine bessere Zukunft für alle aufzubauen.
Zusätzliche Infos:
(1) Siehe auf der Website: www.RechtaufStadt-Aachen.de à Alles zu: Aachen à Bausünden in Aachen – interaktive Karte_
(2) Wohnungsmarktberichte der Stadt Aachen___
(3) Das Haus (2019): Mietbelastung: In diesen deutschen Städten schmerzen die Mieten am meisten.