In Aachen gibt es einige Beispiele, bei denen die Bevölkerung ihre Meinung kollektiv durchsetzen konnte. Ein genauerer Blick offenbart jedoch, dass weite Teile der Bevölkerung von politischen Entscheidungen komplett abgeschnitten sind.
Radentscheid, Campus Bahn, Bauhaus Europa – man könnte meinen, die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen funktioniert in Aachen. Bei diesen Beispielen ist es gelungen, ein Mitspracherecht durchzusetzen. Leider werden andauernd Beschlüsse durchgesetzt, die nie öffentlich zur Debatte standen. Ohne kritisch darüber zu reden, sollen gigantische Projekte, wie der RWTH-Campus, Aachen von einer Industriestadt zu einer modernen Wissenschaftsstadt machen. Nicht nur im Uni-Viertel macht sich das bemerkbar. Fabrikgebäude sind zu schicken Büroräumen geworden und an vielen Stellen entstehen neue Projekte wie die Digital Church. Immobilienunternehmen nutzen die Chance und fokussieren sich auf teure Wohnungen für Studierende und hoch qualifizierte Angestellte. Bezahlbarer Wohnraum wird so gut wie gar nicht gebaut. Was das alles für Konsequenzen für die Stadt und die Bevölkerung hat, wird kaum öffentlich diskutiert. Spüren tun die Konsequenzen allerdings viele!
Bereits 2018 musste die Stadt Aachen zugegeben, dass es eine starke Tendenz zu Gentrifizierung und Verdrängung gibt.
Grund dafür sind die enormen Mietpreissteigerungen. Bei der Wohnungssuche gibt es kaum noch bezahlbare Angebote für ärmere Menschen oder Familien. Durch die hohe Nachfrage steigen die Mieten da am stärksten, wo heute noch bezahlbarer Wohnraum zu haben ist. Dazu gehören die Hörn, Driescher Hof, Kronenberg, Preuswald oder Aachen Nord. Langsam, aber sicher verändert sich dadurch das Gesicht dieser Viertel. Neubauten entstehen – fast immer mit hohen Mieten. Um die Miete in den alten Häusern zu steigern wird luxusmodernisiert. Neue Cafés und Bars freuen sich auf Hipster und Yuppies. Diese Entwicklung passiert zu Lasten der ärmeren Bevölkerung. Sie muss akzeptieren, dass sich ihr Wohnumfeld den Träumen von Unternehmen anpasst. Im schlimmsten Fall können sie sich die nächste Mietsteigerung nicht leisten und müssen wegziehen. Eine direkte Möglichkeit, Einfluss auf diesen Prozess zu nehmen, wird ihnen nicht geboten! Die Unterschicht ist von Entscheidungen zur Entwicklung ihres Lebensraums abgehängt! Viele Untersuchungen belegen diesen Umstand. Mit einem harten Job, Familie, einer kleinen Wohnung und offenen Rechnungen hast du keine Ruhe, um Infos zu der Entwicklung deines Viertels zu suchen und dich politisch einzubringen.
„Die Unterschicht ist von Entscheidungen zur Entwicklung ihres Lebensraums abgehängt!“
Bezüglich der Auswirkungen von Mietsteigerungen und Probleme in der Stadtentwicklung fehlt eine öffentliche Diskussion in Aachen. Dafür, dass 250 Tsd. Menschen hier leben, herrscht Stille! Das ist ein deutliches Zeichen dafür, wie schwer es viele Betroffene haben. Um mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen, bräuchte es starken Willen in den Parteien! Viele Maßnahmen in Bildung und Kulturförderung sind nötig, um den Menschen zu ermöglichen, eine Diskussionskultur zu üben, die einer Demokratie, übersetzt Volksherrschaft, würdig ist. Es braucht dringend Maßnahmen, die die Menschen finanziell und sozial entlasten, um Zeit für Teilhabe frei zu machen. Die Bevölkerung müsste spüren, dass ihre Bedürfnisse an erster Stelle stehen.
Keine der bisherigen Maßnahmen der Stadt Aachen kann dieses Gefühl vermitteln. Keine große Partei steht glaubhaft hinter diesen Forderungen! Niemals freiwillig und nur sehr ungern teilen sie ihre Entscheidungsmacht mit der Bevölkerung. Alle großen Parteien tolerieren, dass die Stadtplanung sich seit dem Zweiten Weltkrieg an Interessen von Unternehmen und Investor*innen orientiert! Die verschiedenen Bedürfnisse der Bevölkerung müssen sich hinten anstellen.
Ohne eine kämpferische Bewegung von unten, die es schafft, Menschen unterschiedlicher Schichten zusammenzubringen, wird sich daran nichts ändern! Seit der Arbeiter*innenbewegung ist das nicht mehr gelungen! Alle großen Proteste, sei es Radentscheid, gegen Tihange oder auch „Fridays For Future“ wurden von der Mittelschicht getragen. Dementsprechend gering viel bisher die Reaktion in ärmeren Teilen der Bevölkerung aus.
Dabei gibt es seit der Arbeiter*innenbewegung immer mehr Ideen, wie sich Menschen verschiedener Schichten zu einer Bewegung organisieren könnten. Es gibt viele Vorschläge wie die Bevölkerung ihr Leben, ihre Viertel oder ihre Arbeit selbstverwaltet organisieren könnte – wie gemeinsam Entscheidungen getroffen werden könnten. Leider werden die Vorteile dieser Ideen heute meistens ignoriert oder vergessen. Aber wir erinnern uns und haben aus der Geschichte gelernt: Teilhabe muss erkämpft werden!
Recht auf Stadt Aachen, 08.05.2020