Diesen Redebeitrag haben wir bei der Kundgebung am 25.11, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, gehalten.
Hallo zusammen,
Ich spreche heute für unsere Initiative „Recht auf Stadt Aachen“. Schön, dass trotz der Lage so viele gekommen sind! Traurig, dass es noch immer notwendig ist am heutigen Tag auf die Straße zu gehen! Leider ist es so dringend notwendig! Dringend notwendig, weil allein in Deutschland jede vierte Frau mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch frühere oder aktuelle Partner wird. Dringend, weil es noch immer viele Staaten wie Polen gibt, in denen Gesetze die Selbstbestimmung der Frauen unterdrücken. Dringend, weil Sexismus noch immer tief in unserer Kultur, in den Medien und im Umgang verwurzelt ist. Dringend, weil noch immer weltweit Gewalt gegen Frauen Alltag ist. Sei es am Arbeitsplatz, auf der Straße, im Club oder zu Hause. Besonders fassungslos macht uns dabei immer wieder, dass unter all diesen Orten das Zuhause der gefährlichste Platz für Frauen ist. Liebhaber, Partner, Ex-Partner oder Familienmitglieder. Schläger, Vergewaltiger, Mörder.
Wir gedenken 301 Frauen, die 2019 in Deutschland durch ihre Partner ermordet wurden. Außerdem gab es 115.000 Anzeigen häuslicher Gewalt. Die Dunkelziffer ist jedoch viel, viel höher. Was für eine Horror-Vorstellung, trotz häuslicher Gewalt mit jemanden zusammen wohnen zu müssen. Und doch ist genau das der Alltag für so viele unserer Mitmenschen! Familiäre Strukturen, finanzielle Abhängigkeit oder der Mangel an Wohnungen zwingen viele Betroffene, die Gewalt zu ertragen.
Hilfe gibt es sehr wenig, da Gewalt gegen Frauen häufig nicht als ein gesellschaftliches Problem verstanden wird, sondern als ein persönliches. In der Nachbarschaft denkt man sich eher, dass die Familie das selbst regeln muss, als einzuschreiten. Dabei genau dieses nachbarschaftliche Zusammenleben die größte Chance, Betroffenen zu helfen. Wenn Nachbarn nicht weggucken, sich einmischen und ihre Solidarität anbieten, könnte Hilfe schneller ankommen als bei jedem Angebot. Dabei hilft natürlich, wenn man sich kennt! Und damit können wir alle bei uns selbst anfangen! Lasst uns nachbarschaftliche Netzwerke aufbauen, die Opfer schützen und Täter isolieren, statt anders herum.
Solange solche Netzwerke nicht existieren, gibt es Auswege und Hilfe höchstens bei Freund:innen, Notrufnummern oder Frauenhäuser. Freund:innen haben aber nur begrenzt Platz und Zeit und Frauenhäuser klagen schon lange über dauerhafte Überlastung. Einerseits, weil die Frauenhäuser keine Zimmer haben und mehr Anlaufstellen bräuchten. Andererseits, weil auch sie keine eigene, bezahlbare Wohnung für Betroffene und ggfs. ihre Kinder finden können. Schließlich wäre eine eigene Wohnung der beste Schutz und gleichzeitig die beste Möglichkeit für einen Neuanfang. Mittlerweile ist die Versorgung mit Wohnraum jedoch so sehr der Wirtschaft unterworfen, dass es nicht mal ein Angebot für die besonders Bedürftigen gibt. Allein aus diesem Grund müsste viel stärker daran gearbeitet werden, wie wir die Versorgung mit Wohnraum nicht profitorientiert, sondern bedürfnisorientiert gestalten können. Wenn Wohnraum keine Ware, sondern Grundversorgung wäre, wären solche Probleme wohl kaum vorhanden. Da außerhalb Berlins über Maßnahmen mit diesem Ziel nur wenig geredet wird, hat sich die Wohnraum-Situation stetig verschärft.
Und dann kam Corona…
Alle sollen zu Hause bleiben. Viele haben finanzielle Schwierigkeiten. Keine Freizeitmöglichkeiten und kaum soziale Kontakte. Das bedeutet Stress, Anspannung und Isolierung in den eigenen vier Wänden. Schon von Anfang an haben soziale Verbände gewarnt, dass unter diesen Umständen die Zahlen häuslicher Gewalt stark steigen könnten. Und so ist es gekommen…
Fast überall sind die Zahlen gestiegen. In Berlin wurde ein Anstieg um 30 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum festgestellt. Da wo es nicht steigt, wird mit einer höheren Dunkelziffer gerechnet, da es weniger soziale Kontakte gibt, an die sich die Opfer wenden können.
Trotz der frühen Warnungen wurde sich der Situation kaum angenommen. Unseres Wissens gab es keine Förderung von Programmen wie „STOP-Stadtteil ohne Partnergewalt“. Die Kapazitäten der Frauenhäuser wurden nicht erhöht, obwohl gleichzeitig Hotels leerstehen. Das was zur Sicherung der Versorgung mit Wohnraum im ersten Lockdown versucht wurde, ist schon lange vergessen. Die Politik hat die Dimension des Problems offensichtlich nicht im Blick! Oder schlimmer: Die Betroffenen sind der Politik egal, weil Lösungen zu viel Geld kosten. Das ist katastrophal.
Besonders solange unklar ist, wie lange wir noch mit Corona und Lockdowns leben müssen, braucht es kurz- und langfristige Lösungen. Deswegen fordern wir die Politik auf, sich endlich stärker dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ anzunehmen.
Es braucht viel mehr präventive Bildungsmaßnahmen. Es braucht mehr Programme wie „Stadtteil ohne Partnergewalt“. Es braucht mehr Unterstützung für Organisationen, die Opfern helfen, mehr Frauenhäuser und mehr Wohnungskapazitäten für Betroffene.
Solange die Politik nicht ausreichend handelt, müssen wir laut sein und für unsere Forderungen kämpfen. Wir müssen für mehr Sensibilität und Solidarität in unserem Umfeld sorgen. Wir müssen um uns herum Netzwerke aufbauen. Und auch Demonstrationen wie heute bräuchte es viel mehr!
Deswegen möchten wir uns besonders herzlichen bei unseren guten Freund:innen vom Bündnis für ein Ende der Gewalt für ihre Mühe bedanken und auch bei allen, die sich auf den Weg hierher gemacht haben! Wir hoffen euch bei kommenden Veranstaltungen wieder zu sehen!
Bleibt gesund! bleibt kämpferisch! Lasst euch nicht unterkriegen! & Bis bald!
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